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Die Comic-Biografie „Das Leben von Anne Frank“ geht so zaghaft wie überkorrekt mit der Tagebuchschreiberin um. Sie ist vom „Anne Frank Haus“ autorisiert – und berührt doch über weite Strecken nicht mehr als eine Guido-Knopp-Doku im Fernsehen.

Was kann ein Comic jenseits der schrecklichen, beinahe unaussprechlichen Erkenntnisse bewirken, die sich einem großen Teil der deutschen Jugend erst durch das Tagebuch der Anne Frank offenbart haben? Was kann ein Comic leisten im Vergleich zu einem Buch, das zweifellos zu den beeindruckendsten Dokumenten der Judenverfolgung durch die Nazis zählt? Man hält also „Das Leben von Anne Frank“ in der Hand und fragt sich, was diese „grafische Biografie“ schon bewirken kann in einer Zeit, in der geradezu eine Inflation der Comic-Biografien herrscht. Nun, sie vermag gewiss, die Berührungsangst zu nehmen, die Distanz zu einem Thema zu verringern, das nach 65 Jahren so grauenvoll erscheint wie damals.

Vom „Anne Frank Haus“ autorisiert

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© Carlsen © WAZ

Genau dieses Nahebringen scheint das vorderste Anliegen zu sein, das die Comicmacher Sid Jacobson und Ernie Colón verfolgen. Die beiden haben mit „The 9/11 Report“ und anderen Arbeiten hinlänglich Erfahrungen auf dem Gebiet der Doku-Comics gesammelt, um sich auch eines solch schwierigen Themas mit dem gebotenen Ernst anzunehmen. Deshalb ist ihr neuester Comic auch vom „Anne Frank Haus“ autorisiert.

Man vermag allerdings nicht genau zu sagen, ob es nur an dieser Autorisierung oder an Jacobsons und Colóns äußerst behutsamer Herangehensweise liegt, dass dieser Comic – im Gegensatz zu den eindringlichen Aufzeichnungen der jungen Anne aus dem Amsterdamer Versteck – über weite Strecken lediglich so sehr berührt wie eine Guido-Knopp-Dokumentation im Fernsehen.

Es ist das Bemühen um historische Korrektheit, um eine umfassende Einordnung, die diesen Comic in der ersten Hälfte so spannend wirken lässt wie ein Auszug aus dem „farbigen Ploetz“. Erst mit dem Beginn von Annes Tagebuchaufzeichnungen verliert sich ein wenig der Eindruck, dass es sich hier um Wissen aus zweiter Hand handelt, dass hier Historiker das Storyboard entworfen haben und den Tuschestift führten. Denn auch die grafische Umsetzung wirkt oft, als hätte man Fotos abgezeichnet.

Der Comic ersetzt weder die Lektüre des Tagebuchs noch einen Besuch im Anne-Frank-Haus

Der Vergleich mag etwas schief sein sein, aber wenn man Art Spiegelmans in den 80er-Jahren erschienenen Holocaust-Comic „Maus“ dagegenhält, der in Form einer Fabel vom Grauen der Konzentrationslager erzählt, bleibt man vom aktuellen Anne-Frank-Werk vergleichsweise unberührt. Spiegelman war deutlich mutiger und künstlerisch ungleich eigenständiger.

Gleichwohl: Gerade im zweiten Teil gewinnt auch „Das Leben von Anne Frank“ an emotionaler Tiefe, weil sie sich unmittelbar bei Anne Franks Aufzeichnungen bedient. Ihr Leben in der Schule, ihr Interesse für Jungs, die Repressionen durch die Nazis, schließlich das Untertauchen im Hinterhaus der Prinsen­gracht 263, wo Familie Frank und ihre Freunde sich mehr als zwei Jahre vor der Verfolgung durch die Nazis verbargen. Zur Angst vor der Entdeckung kam die Angst vor den Fliegerangriffen, die Zermürbung durch die Beengtheit der Wohnverhältnisse, Annes Träume von einem Leben als Journalistin. All dies bringt einem das kurze Leben der Anne Frank so nahe, dass man ein wenig ergriffen ist, wenn die Familie in Viehwagen nach Auschwitz deportiert wird.

Nur: Um genau dies in ungleich stärkerer Intensität aus der Feder der Anne Frank selbst zu erfahren, müsste man nur ihr Tagebuch aufschlagen. Denn selbst die historische Einordnung der Geschehnisse, die der Comic liefert, bekommt man da ohnehin mitgeliefert. So bleibt von diesem neuen Werk nur eine Erfahrung, die weder die Lektüre des Tagebuchs noch einen Besuch im Anne-Frank-Haus in Amsterdam ersetzt. Immerhin ist der Comic ein gutes Beispiel für pädagogisch wertvolle Sekundärliteratur.