Es kommt nicht alle Tage vor, dass man nicht nur den unumstrittenen Klassiker eines Genres in die Finger bekommt, sondern sogar ein Werk, ohne das es ein ganzes Genre gar nicht gäbe. Dieses Verdienst darf sich Will Eisners „Ein Vertrag mit Gott“ gern anrechnen. Denn ohne die in diesem Band versammelten Short Stories, wäre die Form des literarischen Erzählens in Comicform gar nicht entstanden, also das, was wir heute unter dem Namen „Graphic Novel“ kennen.
Umso schöner, dass der Carlsen-Verlag sich nun entschieden hat, die wichtigsten von Eisners Erzählungen in einer umfangreichen, liebevoll edierten Eisner-Edition zu bündeln. Im ersten Band haben sich die Erzählungen „Ein Vertrag mit Gott“, „Lebenskraft“ und „Dropsie Avenue“ versammelt. Und eben dort, in der Dropsie Avenue, einer fiktiven Straße im New Yorker Stadtteil Bronx, leben und sterben sie, die Menschen, von denen Eisner berichtet, in der Mietskaserne mit der Hausnummer 55.
Chronist des amerikanischen Lebens
Menschen wie Frimme Hersh. Der gläubige Jude, der mit seinem Gott hadert, weil der ihm das Liebste auf der Welt nahm, seine Tochter Rachele. Und das, obwohl Hersh in jungen Jahren einen Vertrag mit Gott geschlossen zu haben glaubte. Hersh bricht mit Gott, aber der nicht mit ihm. Alles was Frimme anfasst, wird zu Geld. Nur die innere Leere vermag er nicht zu füllen – deshalb will er einen neuen Vertrag mit Gott schließen, unanfechtbar, mit Zeugen. Frimme begreift zu spät, dass Gott nicht mit sich handeln lässt.
Eisner, dessen Erzählungen autobiografisch gefärbt sind, geht in all den hier versammelten Erzählungen die höchst unterschiedlichen Lebenswege der Bewohner der Dropsie Avenue nach, vom gewalttätigen deutschen Hausmeister über den unbescholtenen Ex-Millionär Elton Shaftsbury, von den ersten Bauherren auf der Dropsie-Avenue bis zum Niedergang der Straße.
Dabei beweist Eisner, dass sein Erzählstil als Chronist des amerikanischen Lebens es durchaus mit dem eines John Updike aufnehmen kann. Er war sogar so gut, dass er mehrmals die höchste Trophäe der Comicwelt gewann, den nach ihm benannten Eisner-Award. Das hätten ihm Joseph Pulitzer oder Alfred Nobel mal nachmachen sollen.
Will Eisner, Ein Vertrag mit Gott. Carlsen-Verlag, 528 Seiten, 36 €
Revolutionär am Stift: Will Eisner, geboren 1917 in New York, revolutionierte mehrfach die Comicwelt. Er erfand 1940 „The Spirit“, einen maskierten Ganovenjäger, der zeichnerisch wie erzählerisch Maßstäbe setzte. Nachdem er lange für die U.S.-Army gearbeitet hatte, wandte er sich Ende der 70er Jahre ernsthaften grafischen Erzählungen zu, die erste von ihnen erschien 1978 unter dem Titel „Ein Vertrag mit Gott“. Eisner starb 2005.