Bayreuth.

Der Eröffnungszyklus der Wagner-Festspiele ging zu Ende und Katharina Wagners „Meistersinger“ liegen immer noch auf dem letzten Platz der Publikumskunst. Ein Rückblick auf starke Momente und schwache Leistungen in Bayreuth.

Es ist ja nicht so, dass der Wagnerianer gänzlich humorfrei wäre. Der Witz der Bayreuther Saison 2010 hieß: „Entweder du wartest zehn Jahre auf Karten oder du gehst in die Meistersinger!“.

Tatsächlich scheint besagte Inszenierung von Wolfgang Wagners Tochter Katharina auf dem letzten Platz der Publikumsgunst zu liegen. Selbst in der begehrten Eröffnungswoche stand ein einziges Schülerlein mit dem üblichen Pappschild „Suche Karte“ vor dem Festspielhaus.

Das ist wohl auch ein Kommentar. Der zweite war der große Buhsturm, als die Festspielleiterin sich verbeugte. Es ist fraglich, ob man ihn allein Verknöcherten zuordnen darf. Auch Aufgeschlossene sind nicht glücklich mit einer Inszenierung, die - wie Stolzing in Katharina Wagners Regie - oft Kunst draufpinselt, wo keine drin ist. Nachgerade spießig und gar nicht frisch wirken Provokationsposen. Diese „Meistersinger“ (unter Sebastian Weigle unschön laut und zu kompakt dirigiert) bleiben ein Abend ohne raffinierte Andeutungen, ohne Ebenen. Es sind aufdringliche Variationen zum Thema Künstlertum und Gesellschaft - ohne beeindruckenden Nachhall.

Nicht alle sind Meistersinger

Es kommt nicht gerade erleichternd hinzu, dass das Ensemble (abgesehen von Klaus Florian Vogt und Michaela Kaune) dieser „Meistersinger“ dem Stücktitel nicht immer gerecht wird. Vor allem die Hauptrolle des Sachs scheint in Bayreuth seit Jahren nicht ideal besetzbar. Auf Franz Hawlatas poetischen Schuster, der von Beginn an ein hörbares Kräfteproblem hatte, folgte in der Saison 2010 James Rutherford. Zwar verfügt der Brite über eine legatoselige Kunstliedstimme, doch fehlt ihr jede Durchschlagskraft, was nicht nur ein Problem des Weigle-Tosens zu sein scheint. Zudem hat der leicht gehemmt wirkende Rutherford die Angewohnheit, drei Viertel seiner Partie mit dem Gesicht nach unten zu singen. So wird der Ton natürlich nie und nimmer den Weg zum Ohr des Publikums finden. 2013 wird sich Katharina Wagner bekanntermaßen dem „Tristan“ zuwenden.

Starke neue Tenöre

Gefeiert wurde in Bayreuth im Schlussapplaus der ersten Festspielwoche dennoch nicht wenig. Auch im letzten Jahr von Tankred Dorsts oft unentschiedener „Ring“-Inszenierung, die dem „Lohengrin“ (wir berichteten) folgte, macht der euphorisch gefeierte Christian Thielemann aus seiner musikalischen Deutung mit dem Festspielorchester ein spannungsgeladenes Ereignis. Wie Thielemann kompositorische Schichten hörbar macht, wie er feinste Abstufungen in der Dynamik sinnlich und sinnhaft steuert und Größe nie mit Pomp verwechselt, das ist maßstäblich. Freilich können die, die nach Bayreuth vor allem der Musik wegen pilgern, mit gleich zwei Hügel-Debütanten die Renaissance großen Wagner-Gesangs feiern. Johan Bothas „Siegmund“ bescherte trotz dramatischer Attacke als bestechender Lyriker den Festspielen die Sternstunde eines ersten „Walküre“-Akts. Den besten „Siegfried“ seit vielen Jahren sang der Kanadier Lance Ryan: eine Mordsstimme, groß, schön, markant, von nie versiegender Kraft. Dazu ist er ein starker Spieler, der Dorsts spröder Regie komödiantische Farben abgewinnt - wenn er nun noch gutes Deutsch singt, gehören ihm für viele Jahre die Wagner-Bühnen der Welt.

Einige Sänger vermisst man

So stark die Neuzugänge, so schmerzlich vermisste man 2010 tragende Sänger des „Ring“: Eva-Maria Westbroeks Sieglinde war in ihrem nachgerade belcantischen Rollenporträt ein Bayreuther Ereignis. Edith Haller ist als ihre Nachfolgerin mit großen Ambitionen dabei, aber weder die Reinheit der Höhe noch der Farbenreichtum der Gestaltung sind am Ziel. Und an Hans-Peter Königs Hagen werden sich noch manche Bass-Schurken auf dem Hügel messen lassen müssen - so auch Eric Halfvarson. Der Amerikaner ist ausgerechnet in den schwarzen Tiefen schwach in der Strahlkraft. Wenn er „Siegfrieds Tod“ singt, hört man das Wort „Tod“ allenfalls ahnungsweise - fatal für die akustische Szenerie. Ein Trost: Westbroek soll als nächste Isolde an den Hügel zurückkehren.

Tankred Dorsts sich verabschiedende Inszenierung erfreut sich trotz Kritiker-Ablehnung beim Großteil des Publikums offensichtlich einiger Beliebtheit. Tatsächlich ist es im aktuellen Bayreuther Repertoire die einzige Regiearbeit, die viele Besucher als behutsam und werknah finden. Guten Willens kann man diesen „Ring des Nibelungen“ sängerfreundlich nennen - auch weil an der Rampe stehen kann, wer mag. Gegner belächeln nach wie vor trotz kluger Details die Hilf- und Konzeptlosigkeit von Dorsts Deutung, in der auch der Kitsch seinen Platz hat: Wenn im Schlussbild der Götterdämmerung ein junges Gegenwartspärchen sein Fahrrad über die Bühne schiebt und die Damen dem Herrn einen völlig giftfreien Trunk an die Lippen führt, ächzt mancher gequält über so dick aufgetragene Zuversicht.

Der Parsifal beweist Substanz

Szenisch besitzt Stefan Herheims „Parsifal“ zweifellos die größte Substanz. Seine (über-)üppig ausgestattete Erlösungsfantasie über Wagner-Bayreuth und Deutschland besitzt auch im dritten Jahr viele magische Momente. Nichts wirkt abgenutzt, manches gar intensiver als bei der Premiere. Was dem Norweger Herheim, der auch an Essens Aalto-Theater preisgekrönte Deutungen vorlegte, in seiner Generation so schnell keiner nachmacht, ist die bestechende Musikalität seiner Figurenzeichnung, er komponiert Bilder zu Wagner. Natürlich - Bayreuth ist eben Bayreuth - erntet auch Herheim ein paar Buhs, aber die Konzentration, mit der die 1700 im Festspielhaus zuvor über Stunden dieser raffiniert erzählte Passion gefolgt sind, ist Zeugnis ihrer Faszination.

Bayreuths Eröffnungszyklus ist zu Ende. Noch vier Wochen dauern die Spiele. Mancher rätselt schon jetzt, ob der neue Ring ein Werk von vier Regisseuren wird. Das aber klärt sich erst nach dem Hügel-Gewimmel. Gewiss ist 2011 ein neuer „Tannhäuser“ (Regie: Sebastian Baumgarten, Dirigent: Thomas Hengelbrock) und 2012 „Der fliegende Holländer“, den Sebastian Nübling inszeniert. Es dirigiert Publikumsdarling Christian Thielemann.