Bayreuth. .
Manchmal gelingt es, manchmal nicht. In diesem Fall nicht: Hans Neuenfels inszenierte bei den Bayreuther Festspielen Richard Wagners romantische Oper „Lohengrin“ als „Laborversuch“ und erntete Buh-Rufe.
Man kann machen, was man will: Es sickert immer vorher schon was durch. Dass der Hans Neuenfels Richard Wagners romantische Oper um den Schwanenritter Lohengrin als „Laborversuch“ inszenieren wolle, pfiffen in und um Bayreuth die Spatzen schon lange von den Dächern.
Aber ist nicht Bayreuth an sich schon ein Laborversuch, namentlich das Festspielhaus? Hier lassen sich jeden Sommer, fünf Wochen lang jeden Tag knapp 2000 Menschen für viele Stunden freiwillig abschotten um mit sich und der Kunst eins zu werden.
Manchmal gelingt es, manchmal nicht. Hans Neuenfels Lohengrin-Labor hatte einerseits eine Ministerriege in die Premiere gezogen, wie Bayreuth sie lange nicht erlebt hatte (Westerwelle, zu Guttenberg, Brüderle...), andererseits dürfte das Kabinett dem Bühnengeschehen so ratlos gefolgt sein wie große Teile des Publikums. Viele, viele Ratten – bei schmalem Erkenntnisgewinn: Neuenfels „Lohengrin“ wurde ein viel bebuhter Opernabend auf dem Grünen Hügel. Mancher hatte das geahnt, nicht zuletzt der Star des Abends. Es war Jonas Kaufmann: Starrummel hin oder her, jedenfalls ein deutscher Ausnahme-Tenor, dazu einer mit Laufsteg-Qualitäten, der die Damen im Bayreuther-Parkett seufzen ließ und noch vor der Premiere bekannte: „Wir sind auf alles gefasst!“
Aber bei der Enttäuschung über den Lohengrin von Neuenfels geht es nicht darum, ob man konservativer oder progressiver Zuschauer ist. Was sein Konzept von einer Lebenswelt im Labor, in die der Schwanenritter Lohengrin eindringt, anfechtbar macht, ist dessen Haltlosigkeit. Neuenfels ordnet alles seinem Konzept unter, aber kaum eine Chiffre wird aufgelöst, aufgefächert. Was er wieder und wieder zeigt, ist ein Kosmos, dessen Fundament der klassische Laborbewohner der westlichen Welt ist: die Laborratte. Hier, in Wagners Lohengrin, ist sie Soldat und Braut, Massenwesen und anpassungsfähiges Giertier. Aber ist nicht all das auch der Mensch? Da dauert einen der Chor (musikalisch neben Jonas Kaufmann das überragende Ereignis des Abends), der in aller prasserischen Vielfalt ins Rattenkostüm schlüpfen muss.
100 menschengroße Ratten
Tatsächlich bringen die Ratten eine komische, fast slapstickhafte Farbe in die Inszenierung. Sie ist nicht ohne Reiz, aber ihre Dominanz ist schwer erträglich. Vor allem weil Neuenfels im gleichen Maße Hinwendung und Sorgfalt in gleichwertiger Qualität zu den Hauptfiguren schleifen lässt. Elsa, das Opfer einer Intrige, das Schurkenpaar Ortrud und Telramund – wer und was sie in diesem Labor sind, lässt die Inszenierung nicht einmal ahnen.
Bemüht man als Theater-Provokateur 100 menschengroße Ratten, verspricht man sich möglicherweise das Auftreten ihrer zentralen Fähigkeit: Intelligenz und Biss. Beides bleibt an diesem oft spannungslosen Abend auf der Strecke. Die Intelligenz, weil Neuenfels’ Rattengleichnis nicht ohne Plumpheiten auskommt: Es gibt einen festlichen Anlass - also zieht die Ratte sich um. Merke: Auch Ekel haben ein Sonntagsgesicht.
Der Biss geht dem Unternehmen ab, weil Reinhard von der Thannen für diesen Lohengrin einen Designer-Chic auffährt, der Glätte vor Gefahr gehen lässt. Von der Thannens Raum ist schön, glatt und unerfreulich im Unentschiedensein zwischen Abstraktion und konventionellem Requisiteneinsatz. Einerseits schrumpft der Baum der Gerichtsbarkeit um König Heinrich auf eine schwindsüchtige Zimmerpflanze zusammen, andererseits wird ganz klassisch zu großen blitzende Schwertern einer alten Ritterwelt gegriffen. Ansonsten bleibt unterm kalten Licht im coolen Schachtelbau eine gigantischen Kostümschlacht (von Karl Nagerfeld?) von Ratten im Cocktailkleid oder Space-Look, dazu zahlreiche Schwanen-Begegnungen, von denen der bis zum Schnabel gerupfte noch die mutigste ist.
So groß und aggressiv die Ratten-Geste erscheinen mag (und so sehr sie das Publikum am Ende größtenteils wütend toben lässt), so üppig sind die Leerstellen dieses Abends. Hans Neuenfels fällt ungewöhnlich oft in eine Gestensprache, die wir aus abgestandenen Stadttheater-Inszenierungen kennen. Was Menschen bewegt, verbindet, was Abhängigkeit bedeutet, Liebe, Hass: Neuenfels findet (von wenigen Ausnahmen abgesehen) keine starken Bilder für eine Oper starker Gefühle.
Dieser Lohengrin ist eine Kopfgeburt – eine Idee, die um jeden Preis durchbuchstabiert wird. Das spürt man schmerzlich oft an diesem Abend, der oft voller Künstlichkeit ist, aber selten voller Kunst. Und wenn am Schluss als Bild für Elsas verschwundenen Bruder Gottfried ein Embryo aus einem Schwanenei steigt und mit Nabelschnurstücken um sich wirft, dann ist der Neuanfang durch einen kaum Entwickelten eine traurige Parallele zu vielem, was in dieser Inszenierung schlicht in den ersten Schritten steckengeblieben ist.
Ein Gewitter von Buh-Rufen
Anders die musikalische Bilanz. Mit einer lange nicht erlebten Euphorie feierte man Jonas Kaufmann, diesen Lohengrin, der so wundersam leise und doch tragend bis in die letzte Reihe vom Gral erzählt. Kaufmanns Stimme hat eine suggestive Kraft, einen männlich-baritonalen Grund, eine straffe Höhe ohne jede Enge. Lange hat man so etwas in Bayreuth nicht gehört. Die Frau an seiner Seite (wenn auch – wie Opern halt sind - nicht fürs Leben) ist die Elsa von Annette Dasch. In ihren stärksten Momenten strahlt die Stimme der erfolgsverwöhnten Berlinern in betörenden Lyrismen, aber alles ist bei ihr an der Grenze. Ihre Stimme ist für ein Wagner-Orchester einfach zu klein. Dennoch: Jubel auch um sie.
Weniger gefeiert wurden die Bösewichte: Hans-Joachim Ketelsen (Telramund) sprang kurzfristig ein – seine sinkenden Kräfte lassen ihm nicht mehr viel Gestaltungsspielraum für die Partie. Evelyn Herlitzius muss Buhs hinnehmen. Ihr scharfer Stimmstrahl ist imposant, aber leider auch dauerhysterisch und ohne jenen Farbenreichtum, der uns Hexen gerne hören lässt.
Ein ehrenwerter König, von Neuenfels als schwache Schachfigur gezeichnet: Georg Zeppenfeld. Über den Chor in Bayreuth ist viel gesagt worden. An Abenden wie diesen ist er vielleicht die schönste Wagner-Stimme der Welt. Sein Leiter Eberhard Friedrich vollbringt mit einer Hundertschaft Präzisionswunder - und andere mehr.
Apropos Stimmen: Ein bisschen ungerecht der schmale Applaus für den Bayreuth-Debütanten Andris Nelsons. Er dirigierte das Festspielorchester sängerfreundlich, ohne Selbstherrlichkeit, mit spannenden Details und souveräner Dynamik.
Als schließlich ein Gewitter von Buh-Rufen (auch Bravo-Gegenwehr blitzte auf) das Regie-Team traf, sprangen Richards Wagner Urenkelinnen Katharina und Eva auf die Bühne: zu stützen die von Antipathie Getroffenen. Sie hätten es nicht gemusst. Den Neuenfels-Deal hatte noch ihr verstorbener Vater Wolfgang eingefädelt.