Gelsenkirchen. Echter Krieg statt Komödie am Musiktheater im Revier: David Hermann schickt Mozart in die Schützengräben der Weltkriege. Unsere Kritik

Die so genannte Verdunkelung wurde im Ersten Weltkrieg eingeführt. Sie sollte es dem Gegner erschweren, Ziele aus der Luft zu erkennen. Man fühlte sich an sie erinnert, Samstag im Musiktheater im Revier - und das nicht erst, als zu den letzten Takten eine fette Bombe auf die Bühne schwebte. War das „Così fan tutte?“ Wie Regisseur David Hermann drei Stunden Mozarts Oper einem schwer nachvollziehbaren Konzept unterwirft, das lässt vom Original der Komödie nur noch Schemen zurück. Komödie? Auch sie in Scherben! Dazu später mehr.

„Così fan tutte“ am Musiktheater im Revier. Die Premierenkritik

Wir erinnern uns: Zwei junge Offiziere (Ferrando/Guglielmo) gehen dem zynischen Philosophen Alfonso auf den Leim. Er ringt den Männern, die Wette ab, jede Frau könne über kurz oder lang der Treue abschwören. Sie leugnen. Alfonso lügt den liebenden Schwestern (Dorabella/Fiordiligi) einen Kriegseinsatz der Herren vor. Nach Turbulenzen geben die Damen endlich anderen Männern nach, die indes ihre eigenen sind - in Verkleidung. Peinlich: die Frauen schenkten dem jeweils anderen ihr Herz.

Die Musikgeschichte hat lange mit Mozarts „Cosi“ gehadert, der albernen, oft recht flachen Geschichte wegen. Hermann aber lädt sie mit Düsternis auf. Nein, der Krieg ist hier keine Fantasie im Dienst der Finte. In seiner Inszenierung ruft er 1914 wirklich an die Front, er wird es in den 1940ern wieder tun.

Mozarts „Così“ aus den Schützengräben der Weltkriege

Nicht verkleidet als adlige Albanier begehren also die Herren das Herz der harrenden Damen. Blutverschmiert, wie Untote aus den Schützengräben von Verdunm, humpeln sie in den Jugendstil-Salon (Bühne: Jo Schramm) zurück. Solches Liebesgetändel nach dem Lazarett berührt die Grenze der Geschmacklosigkeit in Zeiten, da ein Krieg in Osteuropa bereits zehntausende Menschen das Leben gekostet hat. „Zwei verliert Ihr, aber alle anderen bleiben Euch doch“, singt die Zofe Despina. Hört der Spaß da nicht auf, da dieser Krieg eben kein Spiel ist?

Mozart im schwülen Sex-Tingeltangel.  „Cosi fan tutte“ am Musiktheater im Revier umweht in einer Zeitreise von 30 Jahren auch der Hauch von „Babylon Berlin“.
Mozart im schwülen Sex-Tingeltangel. „Cosi fan tutte“ am Musiktheater im Revier umweht in einer Zeitreise von 30 Jahren auch der Hauch von „Babylon Berlin“. © MiR / Sascha Kleklau | Sascha Kreklau

Hermann aber drückt seine Zeitreise unerbittlich durch. In der zweiten Anmach-Phase landen wir in den wilden Zwanziger samt Kabarett und Völkerschau, danach wird à la „Babylon Berlin“ bis zum Vorabend des Zweiten Weltkrieges auf dem erotischen Vulkan getanzt. Zu Mozarts Musik tingeln wir ins „Moka Efti“: rotierende Pobacken, Herren als Damen und umgekehrt. Viel Oberflächenreiz (Kostüme: Bettina Walter), dünn die Botschaft, die Hermann erwartbar mit einer modischen Gender-Pointe auflädt: Fiordiligi führt Ferrando im Zylinder zum Altar, denn er trägt lieber Brautkleid...

>>>Lesen Sie auch: Führungen durch die Theater der Region

Es will sich in aller Bilderflut kein bannender Erzählfluss den Weg bahnen. Hier lässt eine Regie, bewaffnet mit lauter Platzpatronen mittelprächtiger, oft unschlüssiger Ideen, von Lorenzo da Pontes Komödie nur noch Ruinen. Hermann setzt mit Gewalt durch, was in der Seele des Stücks nicht wohnt. Dass er handwerklich gut und detailsatt vorgeht, sei nicht unterschlagen. Und doch: Die Handlung ist auf gut 30 Jahre ausgewalzt - und das fühlt sich beim Zuschauen leider genauso lang an.

Glänzender Mozart der Neuen Philharmonie Westfalen

Aber es gibt ja nicht nur Hermanns Land, wo die Kanonen blüh‘n. Der Mozartklang, den die Neue Philharmonie Westfalen dem Abend schenkt, ist ein Meer an Facetten, hier packend expressiv, da in lyrischer Seide. Nicht allein Holz- und Blechbläser zeigen sich unter Giuliano Bettas Leitung in bestechender Form, das ganze Orchester bittet zum Mozart-Fest: Hier werden die großen Gefühle ernst genommen, und auch jede heiter herzklopfende Geste der Wunderpartitur ist ein Treffer.

Grandioses Damen-Duo: Rebecca Davis als Fiordiligi und Lina Hoffmann (Dorabella) in „Così fan tutte“ am Musiktheater im Revier, Premiere war am 8. Juni in Gelsenkirchen.
Grandioses Damen-Duo: Rebecca Davis als Fiordiligi und Lina Hoffmann (Dorabella) in „Così fan tutte“ am Musiktheater im Revier, Premiere war am 8. Juni in Gelsenkirchen. © MiR / Sascha Kleklau | Sascha Kreklau

Das Ensemble: gut bis exzellent. Rebecca Davis‘ Fiordiligi vermählt überwältigend das Hochdramatische mit zartesten Nuancen extremer Verletzlichkeit. Lina Hoffmanns Dorabella leuchtet die Zweifel des Herzens berückend sinnlich aus. Die Herrenriege führt mit Abstand Simon Stricker an. Sein Guglielmo hat virile Substanz, schönen Schmelz, Durchschlagskraft - sehr intelligent gestaltet. Khanyiso Gwenxanes Ferrando klingt mitunter angestrengt, doch die gefürchtete Arie vom Atem der Liebe gelingt ihm respektabel. Margot Genets Despina ist prachtvoll bei Stimme, die Regie lässt ihr freilich zu wenig Raum für die Komik des Domestiken.

Der Zuschauerraum war bei der Premiere nur zu geschätzten zwei Dritteln gefüllt. Ein Grund zur Zukunftssorge, viel mehr als die nicht geratene Inszenierung.

Aufführungen am 15., 21., 23. und 29 Juni sowie am 5. Juli. Karten (15-45€) unter 0209-4097200 oder unter musiktheater-im-revier.de