Essen. Der Auftakt zum neuen „Ring des Nibelungen” in Essens Aalto-Theater kocht Richard Wagners vielschichtiges „Rheingold” erbärmlich klein. Was bleibt, ist eine plumpe Zuhälterballade ohne Zwischentöne.
„ . . .erste Rheingold-Aufführung mit vollständigem Unstern” notiert Cosima Wagner 1876 zerknirscht. 132 Jahre später haben wir angesichts eines Total-R(h)einfalls im Aalto-Theater dem eigentlich nichts hinzuzufügen. Allein: Die Chronistenpflicht ringt uns ein paar Zeilen mehr ab.
Essen erhält bis 2010 einen neuen „Ring des Nibelungen”. Wagners Riesenwerk ist ein Kraftakt, der auch Vorzeigehäuser auf die Probe stellt. Bitter, dass das „Opernhaus des Jahres” gleich beim „Vorabend” des Vierteilers vor allem eines ist: provinziell.
Denn nicht die unentwegte Rampen-Rammelei, nicht der onanistische Auftritt des Umstürzlers Alberich, nicht die nuttigen Nixen, nicht die Untergötter als warme Brüder in Lack und Leder sind der Skandal. Das Ärgernis ist, dass 2008 jemand glaubt, im Gegenzug für diese plumpen Provokations-Geste eine qualitativ motivierte Beachtung zu erhalten.
Was also der erste Schritt zum Kulturhauptstadt-Ring sein könnte, kommt über banales Opern-Piercing kaum hinaus. „Sozialkritisch” nennt das Team um Regisseur Tilman Knabe dieses „Rheingold”. Tatsächlich ist es eine Aneinanderreihung lauter Gemeinplätze, der vor allem eines nicht gelingt: eine gute Geschichte gut zu erzählen. Stattdessen buchstabiert man die (bei Wagner selbstredend existenten) Chiffren von Lust, Liebe, Kapital und Größenwahn in grellen Lettern, die auch die letzte Parkettreihe anbrüllen.
Rotlicht-Regenten und Prosecco-Pate
Was also ist Knabes Wunderhorn? Er setzt die Götter, bei denen das Unrecht nicht anders zuhause ist als in der Unterwelt, als Rotlicht-Regenten an. Wotan: kaum mehr als ein Prosecco-Pate im roten Bademantel (Kostüme: Kathi Maurer). Frau Fricka führt die Bücher; Schwägerin Freia ist fürs Sinnliche greifbar.
Da liegt es nur auf der Hand, dass die Riesen, denen Wotan noch einiges schuldet, ein Inkassobüro am Rhein betreiben. Und während im gevierteilten Bühnenbild (Alfred Peter) links unten die Rheintöchter anschaffen, weht durch den unseligen Abend gegenüber noch eine Brise Betroffenheit: Alberichs Sklaven sind Favela-Kinder. Ihre Welt ist Müll.
Müssen wir noch sagen, dass Anpeitscher Alberich einen Elektroschocker besitzt und sich mit geraubtem Gold ausstaffiert wie ein neureicher Boxpromoter? Dass Wotan beim Anruf des Feuergottes ein Handy benutzt? Es sind nicht zuletzt die Requisiten schlichtgemütiger Aktualisierung (Zigarre = Kapital!!!), die dieser hektischen, im Fokus unscharfen Regiearbeit ihre gut gemeinte Spitze nehmen.
Üblicherweise kann man sich bei hilflosen Inszenierungen im Aalto an der musikalischen Qualität gütlich tun. Es ist aber auch hier nicht alles Gold, was glänzt. Aus einem rechtschaffen sich mühenden Ensemble ragt neben exquisiten Rheintöchtern (Katherina Müller, Bea Robein, Barbara Kozelji) und Ljubov Sokolovas Ethno-Erda der Alberich Jochen Schmeckenbechers heraus: ein Lehrstück, wie man die mörderische Partie abgründig und zugleich mit expressiver Klangmagie (er)füllt.
Generalmusikdirektor Stefan Soltesz begegnet Knabes Kiez-Klamauk mit äußerst zügigen Tempi. Das zeitigt bei den Essener Philharmonikern einen kompakten, mitunter auch packenden Rheingold-Klang, der Wagners Vorabend in überrumpelnder Flottheit duftige Singspiel-Momente schenkt, aber auch manch irisierende Chancen der Partitur gefährdet. Soltesz erntet Bravo-Rufe, Knabe Buhs. Wir hoffen auf die restlichen drei Viertel der neuen Ring-Deutung.
Essens „Ring” wird von vier Regisseuren inszeniert. Es folgen „Die Walküre” (Dietrich Hilsdorf, Mai 2009), Anselm Weber („Siegfried”) und Barrie Kosky („Götterdämmerung”). Nächste „Rheingold”-Aufführungen: 15., 18., 28. November. Tel. 0201 - 8122 200