Gelsenkirchen. Angebrannt, überwürzt, kaum Geschmack: „Eine Nacht in Venedig“ am Musiktheater im Revier spielt im Restaurant - schwer genießbar. Unsere Kritik.
„Hier kocht der Chef!“, üblicherweise ist das ein Gütesiegel. Samstag aber stand Michael Schulz in Gelsenkirchen am Herd, ein Maître von Rang, zuletzt weit über die Region hinaus glänzend mit Kreationen wie „Billy Budd“ und „Das schlaue Füchslein“. Und dann das: Drei Stunden (gefühlt fünf!) verhob er sich an leichter Muse. Man kaut noch jetzt an dem zähen Abend.
Es gab im Musiktheater im Revier „Eine Nacht in Venedig“ oder besser gesagt: Es gab das, was die Kreativitätsschübe des Intendanten Schulz davon übrig ließen. Zunächst, da der erste Gruß aus der Küche die klare Botschaft barg, dass wir weder in Venedig sind noch je dort ankommen werden: Hoffnung, Neugier. Denn „Venedig“, das ist bei Schulz ein deutscher Edel-Italiener, place to be. Aber schon vor Öffnung des Lokals hält der Abend verrutschte Zutaten bereit. Da muss in einem Anfang, der keiner ist, ein Straßensänger (wann sahen wir Zuschauer-Liebling Sebastian Schiller je so hilflos?!) ums Publikum buhlen, da wird (kaum mehr als mit Aromen eines Oberstufen-Kabaretts) das Senatoren-Trio in Rot-Gelb-Grün zur kalauernden Ampel-Koalition.
„Eine Nacht in Venedig“, Premiere am Musiktheater im Revier enttäuscht
Früh zeigt sich: Schulz will ein Satire-Soufflé, kommt aber über Plattitüden-Pfannkuchen selten hinaus. Dabei hat die Grund-Idee des Kulinarischen Charme – und sogar Berechtigung, ruht doch in Johann Strauss’ Operette (wegen ihrer windschiefen Anlage immer wieder professionell überarbeitet) durchaus ein kulinarischer Angelpunkt. Kein anderes Werk der Musikwelt hält die Rolle „Makkaronikoch“ bereit – auch eine Arie über „Frutti di Mare“ sucht ihresgleichen.
Doch Gang für Gang wird am „MiR“ ein Menü aufgetischt, das man flott satt hat. Entweder wird die Verwechslungsklamotte aus Untreue und Karrieregeilheit hilflos unterwürzt mit fadesten Polit-Pointen vom Gender-Stern bis zur Elternzeit. Oder es wird pompös der goldene Teller der Hochkultur aufgetischt, so dass die Operette als Hauptgericht verdunstet: Da wird in Beata Kornatowskas üppigem, doch wenig sängerfreundlichen Bühnenbild Verdi geröhrt, da duettiert man sich per „Zauberflöte“, und püriert Vivaldis Sicht auf die Macho-mordende Judith des Alten Testaments zur versalzenen Moral-Einlage in Sachen weiblicher Emanzipation. Es wird permanent dem Stück etwas eingerührt, das es seiner Rezeptur nach nie wird sein können.
Vom Canale Grande an die Emscher, das heißt an diesem Abend leider: wenig Amarone, viel Käse. Man schluckt – auch über die handwerklichen Defizite, die einem Könner (und Gourmet!) wie Schulz hier in die Regie-Fritteuse gefallen sind. Die großen (vielfach neu geschriebenen) Dialogszenen fordern das Raffinement einer gut geölten Boulevard-Komödie. Aber hier (mit ziemlich allein gelassenen Sängern) kosten wir szenischen Rhythmus, Tempo, Anschlüsse auf Zwieback-Niveau.
Michael Schulz inszeniert als Intendant „Eine Nacht in Venedig“
Das Ensemble kann Schulz’ heilloses Pendeln zwischen geistiger Überambition und szenischer Unterernährung nicht wettmachen. Die Herren-Partien: solide bis enttäuschend (Adam Temple-Smith als Herzog). Unter den Damen ragt Margot Genets Annina heraus, ein köstlicher Silbersopran, kraftstrotzend, nie kraftmeiernd. Giuliano Betta und die Neue Philharmonie Westfalen gehen die Partitur recht zünftig an, mitunter zu Ungunsten der Seide. Der Chor, musikalisch zuverlässig, wird szenisch gefordert bis überfordert.
Das Publikum (eine Claque-Clique im hinteren Parkett ausgenommen) folgt dem Abend sediert. Am Ende aber springt mancher auf, als der listige Schulz seine Hackfleisch-Hitparade mit dem Knaller „Granada“ krönt. Was für ein albernes Abendessen! Das erste Mal im Kritiker-Leben den unkeuschen Wunsch nach einem Pizza-Taxi verspürt.
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Eine Nacht in Venedig. Drei Stunden, eine Pause. Musiktheater im Revier, Karten ab 15€, Tel 0209-4097200. Bis April 2024 auf dem Spielplan.