Essen. Alles ist ein langer, trivialer Fluss. „Autumn Variations“ zeigt: Ed Sheerans Ideenschwamm ist ausgewrungen. Doch das nächste Album wartet schon.

Den Tiefpunkt erreicht Ed Sheerans neue und enttäuschend ehrgeizarme Songsammlung im vorletzten, dem dreizehnten Stück. „The Day I Was Born“ beleuchtet das harte Schicksal eines Januar-Geborenen (Sheeran selbst kam Mitte Februar zur Welt), an dessen Geburtstag mal wieder reihenweise und kurzfristig die Freunde absagen, so dass er dann nun schlussendlich ein weiteres Mal ganz alleine feiern muss.

Und als wäre das Thema als solches nicht schon banal, kitschig und unglaubwürdig genug, so verstopft Ed Sheeran seine schwachbrüstige Komposition auch noch mit soviel Soundsirup, dass sich selbst ein in diesen Belangen furchtloser Chris de Burgh wohl erschrecken würde. Dass im Refrain auch noch gejodelt wird, macht die Sachen nicht besser.

Nein, man sollte schon ehrlich und – nach fünfzig Minuten voller Sentimentalitäten und Plattitüden – etwas erschöpft festhalten, dass Ed Sheerans siebtes Album „Autumn Variations“ sein bislang schwächstes ist.

Man musste den 32 Jahre alten Engländer, der ohne Zweifel der kommerziell erfolgreichste männliche Pop-Singer/Songwriter der letzten gut zehn Jahre ist, ja auch bislang nicht zwingend für das Maß aller musikalischen Dinge halten. Die Lyrik war auch vorher schon größtenteils platt wie ein Fahrradreifen, der monatelang in praller Sonne stand, und die Melodien hatten immer so ein bisschen was von Malen-nach-Zahlen. Überraschungsmomente oder gar unerwartete Wendungen waren nie die Stärke dieses menschlich ja wirklich angenehmen Rotschopfs.

Ed Sheerans Superhits lebten von schmerzfreier Schmalzigkeit

Auch Superhits wie „Perfect“ oder „Thinking Out Loud“ (die beiden 2022 in England am häufigsten beim ersten Hochzeitstanz gespielten Stücke übrigens) lebten von ihrer schmerzfreien Schmalzigkeit, aber sie wussten mit ihrer weit überdurchschnittlichen melodischen Qualität aufzutrumpfen oder wenigstens zu gefallen. Ed Sheerans Uptempo-Nummern, man denke bloß an „Bad Habits“ und an „Shape Of You“, sind von jener Güte, dass sie sich – oft auch unfreiwillig – im Gehirn festbeißen, und frühere Balladen wie „The A Team“ und „Photograph“ haben wirklich zu berühren gewusst.

Das Problem von „Autumn Variations“: Keine der vorgenannten Qualitäten finden sich hier. Als Inspiration habe, so Sheeran, der Vierzehn-Stücke-Zyklus „Enigma Variations“ des englischen Komponisten Edward Elgar gedient, doch das Konzept, Lieder über Freunde und Angehörige zu singen, bleibt vage. Die Melodien plätschern träge und wenig einprägsam vor sich hin. Die Songs schwappen nicht selten kaum differenzierbar ineinander, das Tempo variiert auch nur unzureichend, alles ist ein langer dröger Fluss.

„Autumn Variations“ von Ed Sheeran: Exponate aus dem Trivialitäten-Kabinett

Mit dem Holzhammer-Liebeslied „Magical“ fängt das Album bereits unterinspiriert an, es folgen nicht wenige Exponate aus dem Trivialitäten-Kabinett. Auch die Geschichte, wie sich Ed und seine heutige Frau Cherry Seaborn (die beiden haben zwei Töchter, Lyra ist drei, Jupiter ein Jahr alt) in New York ineinander verliebten und, so heißt es im Text, chinesisches Essen aus kleinen weißen Pappschachteln zu sich nehmen, wird nochmal aufgewärmt.

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Man sehnt sich beim Hören danach, dass Sheeran mal das Tempo anzieht, aber wenn er es tut, so wie in Pappschachtel-Song „American Town“, ist es auch wieder nicht überzeugend, denn dann klingt es wie das Irish-Folk-Generikum „Galway Girl“ von vor ein paar Jahren.

Natürlich ist auch „Autumn Variations“ eine Platte, die wenig Hörwiderstand hervorruft, wenn man sie so halbaufmerksam durchrauschen lässt wie einen Social-Media-Feed. Und es gibt ja auch ganz gute Momente. „England“ fängt in seiner Schwermütigkeit das graue Herbstwetter in Sheerans Heimat auf schöne und zartromantisch-verklärte Weise ein. „That’s On Me“, wo er ausnahmsweise mal mit mehr Nachdruck singt, ja fast schon rappt, hat ein bisschen Biss, „Punchline“ erinnert in seinem eher unbehandelt wirkenden Akustik-Folk-Aroma an Ed Sheerans Anfänge, als er noch mit der Gitarre und seiner Ein-Mann-Loop-Station auf der Straße und in Pubs auftrat. Aber alles in allem wirkt das Werk ziemlich angestrengt, der Ideenschwamm des Barden einstweilen ausgewrungen.

Ed Sheeran sollte sich in Ruhe sammeln und wieder neu aufladen

Ed Sheeran hat „Autumn Variations“, wie schon den erst in diesem Mai veröffentlichten Vorgänger „Subtract“, mit dem Produzenten Aaron Dessner aufgenommen. Dessner hat einen ähnlichen Doppel-Stunt zuletzt mit Taylor Swift und ihren 2020er Alben „Folklore“ und „Evermore“ sowie in diesem Jahr mit seiner eigenen Band The National durchgezogen.

Im Fall von Sheeran scheint es aber einfach nicht genug Material für zwei starke Alben – das von Depressionen und Schicksalsschlägen geprägte „Subtract“ war ja durchaus nicht arm an Höhepunkten – gegeben zu haben. Vielleicht sollte Ed Sheeran mal ein paar Jahreszeiten ohne neue Veröffentlichungen ins Land gehen lassen und sich in Ruhe sammeln und wieder neu aufladen.

Gewiss ist das jedoch nicht. Das bereits fertig aufgenommene Gemeinschaftsalbum mit dem kolumbianischen Reggaetonsänger J Balvin soll angeblich nicht mehr lange auf sich warten lassen.