Dortmund. Jan Lisiecki gastierte zum 15. Mal in fünf Jahren beim Klavier-Festival Ruhr. Er bringt alles Nötige für einen perfekten Chopin mit – und doch...
Mit 15 Auftritten beim Klavier-Festival Ruhr allein in den letzten fünf Jahren dürfte der kanadisch-polnische Pianist Jan Lisiecki einen Rekord innehaben. Im voll besetzten Konzerthaus Dortmund musste das Publikum allerdings erst die Pause abwarten, bis der charismatische Musiker mit dem Kammerorchester Basel Frédéric Chopins 2. Klavierkonzert anstimmen konnte.
Das dann aber sehr zum Gefallen der entzückten Hörer. Und das 28 Jahre junge Riesentalent bewies, dass in ihm eine Persönlichkeit heranreift, die als Chopin-Interpret in die großen Fußstapfen seiner polnischen Vorgänger Artur Rubinstein und Krystian Zimerman treten könnte. Charisma, sensibles Feingefühl für das spezifische melodische Kolorit Chopins, manuell allen Anforderungen gewachsen: An den elementaren Ingredienzien einer nahezu rundum gelungenen Interpretation des Werks fehlt es Jan Lisiecki nicht im Geringsten. Zumal er sich auch in bestem Einvernehmen mit dem von Konzertmeister Daniel Bard angeführten Baseler Kammerorchester verstand.
Die Ovationen für Jan Lisiecki waren berechtigt
Die Ovationen am Ende waren also berechtigt, für die sich Jan Lisiecki mit einem unprätentiösen, von lyrischer Poesie erfüllten Vortrag des Nocturnes op. 9,2 bedankte, einem seiner favorisierten Zugaben-Hits.
Dennoch ist es fraglich, ob man dem jungen, in den letzten Jahren kometenhaft in den Medien-Olymp gehievten Mann einen Gefallen tut, wenn man ihn schon jetzt mit marktschreierischen Superlativen überschüttet und damit letztlich unter Druck setzt. Angesichts seiner jungen Jahre besteht (zum Glück) durchaus noch Luft bis zu den ausgereiften Leistungen seiner großen Vorgänger.
Jan Lisiecki braucht noch Zeit und Ruhe für perfekt ausgewogene Interpretationen
So verführerisch Lisiecki den lyrischen Puls der Chopinschen Musik erfasst, so elegant er ihn zu Gehör bringt: Wenn das Tempo anzieht, wenn die Dynamik anschwillt, lässt es Lisiecki noch an der nötigen Gelassenheit vermissen und gerät unnötig in hektische Fahrwasser. Technisch alles kein Problem für ihn; eine in sich geschlossene, perfekt ausgewogene Interpretation steht jedoch noch aus. Dafür sollte man ihm Zeit und Ruhe gönnen.
Das tüchtige Kammerorchester aus der Schweiz muss im Rahmen solcher Star-Auftritte damit leben, ein wenig in den Schatten zu geraten. Zumal es mit Gabriel Faurés „Masques et Bergamasques“ und Maurice Ravels „Le Tombeau de Couperin“ vor der Pause nicht mit effektbetonten Reißern aufwartete, sondern mit klingender Feinkost. Gipfelnd in Ravels magisch schillernden Farben, die das Baseler Orchester mit angemessener Detailgenauigkeit und Leuchtkraft ertönen ließ.