Bochum. Der junge polnische Pianist Jan Lisiecki rettete kurzfristig den ursprünglich mit Leif Ove Andsnes geplanten Abend im Anneliese-Brost-Musikforum.

Elf Auftritte in sechs Jahren: Damit setzt der junge polnische Pianist Jan Lisiecki eine Rekordmarke, was seinen Einsatz für das Klavier-Festival Ruhr angeht. Diesmal rettete er kurzfristig den ursprünglich mit Leif Ove Andsnes geplanten Abend im Anneliese-Brost-Musikforum. Und zwar mit einem überwiegend freundlich gestimmten Programm, passend zur Jahreszeit.

Die stärksten Akzente setzte er, wie schon bei seinem letzten Auftritt vor der Pandemie-Pause in Dortmund, mit lyrisch gestimmten Werken wie den Nocturnes von Frédéric Chopin. Es sind zarte, sensible Töne und kantable Gesangslinien, mit denen Lisiecki am nachhaltigsten überzeugen kann. Überreich in den beiden Nocturnes op. 9 vertreten, verstreut in der Ballade Nr. 4 op. 52 zwischen kontrastreichen stilistischen Wechselbädern. Hier kann Lisiecki mit seiner Sensibilität und seinem feinen Anschlag in purer Schönheit baden. Allerdings lässt sich Lisiecki in den virtuosen Passagen sowohl im Tempo als auch in der Dynamik zu gröberen, hektisch überdrehten Gangarten verleiten, die die Geschlossenheit seiner Vorträge gefährden.

Jan Lisiecki zeigte beim Klavier-Festival Ruhr seine poesievollen Stärken

Trotz seiner manuellen Klasse ist Lisiecki kein Tastenlöwe und seine poesievollen Stärken sollte er auch in artistisch herausfordernden Stücken und Passagen nicht verleugnen. Beethovens augenzwinkernd ironisches Rondo über „Die Wut über den verlorenen Groschen“ verträgt zwar einen kräftigeren Zugriff. Gleichwohl könnte Lisiecki auch hier auf überdrehte Tempi ohne jeden Substanzverlust verzichten. Einen gespaltenen Eindruck zwischen poesievollem Einfühlungsvermögen und virtuoser Kraftmeierei hinterlassen auch Lisieckis Interpretationen der drei Beiträge von Felix Mendelssohn Bartholdy. Das „Rondo capriccioso“ op. 14, die sechs „Lieder ohne Worte“ op. 67 und die 17 „Variations sérieuses“ op. 56 umfassen zwar einen weiten stilistischen Kosmos und Lisiecki lässt es auch nicht an der individuellen Profilierung der unterschiedlich gestimmten Teile vermissen. Mit ein wenig Zurückhaltung in den auf Brillanz getrimmten Stücken könnte er seinem verdienstvollen Beitrag zur unterschätzten Klaviermusik Mendelssohns allerdings noch den letzten Schliff schenken.

Standing Ovations für ein entspannendes Programm, für die sich Lisiecki mit einer Chopin-Zugabe bedankte.