Dortmund. Der kanadische Pianist Jan Lisiecki zeigt sich beim Klavier-Festival Ruhr als souveräner Interpret – und stellt Chopin in den Mittelpunkt.

Nun hat das Klavier-Festival Ruhr auch im Dortmunder Konzerthaus und in Essens Philharmonie sein coronabedingtes Ersatzprogramm gestartet. Mit einem fleißigen Jan Lisiecki, der gleich viermal mit einem jeweils 75-minütigen Solo-Recital auftrat und Frédéric Chopin in den Mittelpunkt stellte, in Essen noch im Blickwinkel, historisch stimmig, erweitert durch Beethoven und Mendelssohn.

Dass man derzeit auf Pausen verzichtet, freut die Gastronomie zwar nicht, bietet dafür aber ein konzentrierteres Hörerlebnis. Das freilich genossen noch nicht allzu viele Zuhörer. Erst langsam läuft der Konzertbetrieb wieder an: In Dortmund war der auf 400 Plätze dezimierte Saal keineswegs ausverkauft. Sorgfältig durch Abtrennungen und Richtungspfeile kanalisiert (man kennt das mittlerweile zur Genüge), dürfen die Besucher in zwei Gruppen nacheinander eintreten – zwei Plätze belegt, sechs Plätze frei.

Lisiecki beeindruckt auch ohne Star-Allüren und exzentrisches Spiel

Doch als Lisiecki dann ätherisch gehaucht zur Ballade Nr.4 anhob, waren die äußeren Umstände vergessen. Der 25-Jährige kommt so wohltuend ohne Star-Allüren und exzentrisches Spiel aus, gibt vielmehr mit kontrolliertem Blick auf die Tastatur den Anwalt der Musik, den beredten Erzähler und Denker, der an Alfred Brendel erinnert. Dank seiner enormen Anschlagskultur spreizt er Chopins ganze Ausdruckspalette auf, wie die ausgewählten Nocturnes aus op.9, 27 und 48 verraten. Hier in bewusst eingravierten Konturen, dort im diffus angestrahlten Melos, das nicht nur in Des-Dur wie aufgereihte Perlen in erlesener Farbgebung leuchtet.

Der Kanadier weiß um die Balance zwischen Sensibilität und Kraft, lässt sowohl Mendelssohns Lieder ohne Worte anklingen als auch die wuchtige Bravour des vorausgeahnten Liszt und versöhnt alles in funkensprühendem Esprit mit der „Grande Polonaise brillante“. Der Blumenstrauß kam diesmal mit gezieltem Fernwurf aus der Hand von Intendant Franz Xaver Ohnesorg.