Essen. Neu im Kino: Der Film „Der vermessene Mensch“ erinnert an den Völkermord im heutigen Namibia. Ein engagierter Beitrag zu einer aktuellen Debatte.

Anfang des 20. Jahrhunderts wird an der Universität in Berlin die gängige evolutionistische Rassentheorie gelehrt. Alexander Hoffmann ist ein ehrgeiziger Doktorand der Ethnologie. Als eine Delegation der Herero und Nama aus der Kolonie Deutsch-Südwestafrika die Deutsche Kolonialausstellung in Berlin besucht, um mit dem Kaiser über die Situation in ihrem Land zu sprechen, erhält er den Auftrag, die Schädel „der Wilden“ auszumessen.

Die Besucher willigen in der Hoffnung auf eine gute Verhandlungsbasis widerstrebend ein. Der junge Forscher begegnet der Dolmetscherin Kezia Kambazembi, der bei der Untersuchung die Tränen kommen. Eine zarte Bindung entsteht. Dann bricht in den besetzten Gebieten ein Aufstand gegen die deutsche Kolonialmacht aus. Hoffmann reist nach Afrika und begibt sich auf die Suche nach Kezia.

Der Völkermord in Namibia

Es ist jedoch keine Liebesgeschichte, die der Regisseur Lars Kraume („Der Staat gegen Fritz Bauer“) in seinem neuen Film erzählt. In „Der vermessene Mensch“ lenkt er den Blick auf eines der dunkelsten Kapitel des deutschen Kolonialismus. Zwischen 1904 und 1908 ermordeten Truppen im heutigen Namibia rund 70.000 Menschen vom Volk der Herero und Nama.

Erst 2021 erkannte Deutschland den Völkermord an, Verhandlungen über Entschädigungszahlungen dauern an. Noch immer lagern Schädel der Herero und Nama in wissenschaftlichen Sammlungen und Museen in Deutschland.

Auch darüber informiert Kraume, der sich der grausamen Geschichte klug und respektvoll nähert, ohne in aufdringliche Belehrungen zu verfallen. Er präsentiert viel mehr vordergründig einen Abenteuerfilm vor der malerischen Kulisse Afrikas, in dessen Mittelpunkt die innere Entwicklung eines jungen Idealisten steht. Der rassistische Geist der Zeit ist allgegenwärtig, der Nationalsozialismus hatte auch hier seine Wurzeln.

Die Piefigkeit und Miefigkeit des Deutschen Kaiserreichs

Schon zu Beginn ist die Piefigkeit und Miefigkeit des deutschen Kaiserreichs spürbar. Sie hängt in der Wohnstube, in der Hoffmann mit einer höheren Tochter und ihrer Familie Kaffeetrinken muss. Im Hörsaal untersucht er Schädel mit dem einzigen Ziel, eine angebliche Überlegenheit der weißen Rasse mittels pseudowissenschaftlicher Erkenntnisse zu beweisen.

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Hoffmann hält nichts von diesen Theorien. Für ihn zählt nur die unterschiedliche kulturelle Prägung, damals ein unerhörter Ansatz. Als in der Kolonie der Aufstand ausbricht, reist der junge Forscher unter dem Schutz der deutschen Truppen nach Afrika. Er soll Gebeine und Alltagsgegenstände der ermordeten Herero sammeln und sie zu seinem Professor nach Deutschland schicken.

Aber eigentlich hofft er, Kezia wiederzufinden. Hoffmann muss erleben, wie die Menschen dort systematisch abgeschlachtet werden, er wird immer tiefer ins Kriegsgeschehen hineingezogen. Und er sieht Dinge, die ihn für immer verändern.

Ein Karrierist und Mitläufer

Dass der Film lange nachwirkt, liegt nicht nur am starken Drehbuch (auch Lars Kraume), sondern auch an den Schauspielern, allen voran Leonard Scheicher als Karrierist Hoffmann, der trotz besseren Wissens ein Mitläufer bleibt. Überzeugend auch Girley Jazama als kluge, stolze Dolmetscherin Kezia (von ihr hätte man gern mehr gesehen) und Peter Simonischek als Professor von Waldstätten, der den Zeitgeist auf beklemmend selbstverständliche Weise verkörpert.

Insgesamt ein relevanter Beitrag zu einer beschämenden, andauernden Debatte und ein Lehrstück zur deutschen Geschichte. Aber auch einfach ein gut gemachter, sehenswerter Film.