Essen. Neu im Kino: In „Die Fabelmans“ erzählt der Kultregisseur vom Beginn seiner Liebe zum Film. Eine autobiografische Geschichte, absolut sehenswert.
Es ist der 10. Januar 1952. Familie Fabelman will ins Kino. Sammy hat keine Lust. Er fürchtet sich vor der Dunkelheit und den Riesen auf der Leinwand. Aber Widerspruch ist zwecklos, es gibt Cecil B. DeMilles „The Greatest Show on Earth“, und dem Kleinen steht der Mund weit offen. Vor allem ein Zugunglück fasziniert ihn: Ein Auto fliegt durch die Luft, Waggons entgleisen – spektakulär! Zu Hause wird Sammy die Szene mit seinem Spielzeug immer wieder nachstellen, bis seine Mutter ihm rät, das Ganze mit der Schmalfilmkamera aufzunehmen: So kann er sich alles genau anschauen. Für sie auch eine Methode, die Schrecken der Vorstellungskraft zu bändigen.
Erinnerungen an eine Jugend in den USA der 50er, 60er Jahre
In jedem Fall eine Initialzündung, die am Beginn des Filmdramas „Die Fabelmans“ steht. Hinter der Figur des kleinen Jungen, 1946 in Ohio als Sohn jüdischer Eltern geboren, verbirgt sich der große Steven Spielberg. Jetzt kommt sein Biopic ins Kino: Erinnerungen an eine Jugend in den USA der 50er, 60er Jahre.
Die Episode mit dem Zugunglück ist bezeichnend für „Die Fabelmans“; der Film ist vollgepackt mit diesen kleinen assoziativen Schlüsselmomenten, und es liegt am Geschick des Regisseurs, dass sich das nicht aufdrängt. Spielberg erzählt in seinem autobiografisch geprägten, persönlichsten Film viel mehr eine Familiengeschichte, die vermutlich nicht groß anders verlaufen ist als zigtausend weitere. Dass das trotzdem über zweieinhalb Stunden hinweg über alle Maßen spannend gerät, ist eine Kunst für sich.
Regisseur David Lynch spielt die Rolle des Kollegen John Ford
Aber es ist ja auch die Geschichte einer Leidenschaft, die 1952 mit einem ersten Kinobesuch begann und später Blockbuster wie „Der weiße Hai“, „E.T.“, „Jurassic Park“, „Die Farbe Lila“ und „Schindlers Liste“ hervorbringen sollte. Der Film macht lang vorher Schluss, aber die Weichen sind gestellt: In der ersten Produktionsfirma, die Sammy von innen sieht, begegnet er seinem Regie-Idol John Ford, eine göttliche, ewigkeitstaugliche Szene mit dem Kollegen David Lynch.
Denn die Kamera legt der Junge nicht mehr aus der Hand. Er filmt seine drei Schwestern als Gespenster, die Familie beim Campingausflug, die Mutter beim Tanz im Licht der Autoscheinwerfer.
Und er sieht dabei Dinge, die er lieber nicht gewusst hätte. Auch ein Kriegsfilm entsteht, in der Zeit bei den Pfadfindern. Beim Dreh gibt Sammy seinem Hauptdarsteller, einem Freund, kluge Anweisungen und rührt ihn dabei fast zu Tränen.
Mobbing an der Highschool in Kalifornien
Dass Spielberg die Kunst der Schauspielerführung perfektioniert hat, auch das zeigt dieser Film. Und da ist nicht nur Gabriel LaBelle, der den jungen Sammy mit Sensibilität und Mutterwitz verkörpert. Ebenso schillern Paul Dano als Vater Burt, ein Computerfachmann und Workaholic, und die überaus berührende Michelle Williams als eigenwillige Mutter Mitzi, eine Pianistin, der kreative Geist: Sie weiß, dass Kunst eine Welt erschaffen kann, in der man glücklich und geborgen ist.
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Außerdem hat Sammy noch einen Onkel, der keiner ist: Benny (Seth Rogen) ist als Burts Arbeitskollege immer dabei. Eine Dreieckskonstellation mit Folgen.
Die Familie ist rastlos. Aus beruflichen Gründen muss der Vater oft umziehen. Aus Ohio nach New Jersey und Arizona und dann nach Kalifornien, wo Sammy an der Highschool zum Opfer antisemitischer Beleidigungen wird. Er streitet und wehrt sich, er verliebt sich, erlebt Trennung, Abschied, Neubeginn, wird allmählich erwachsen. Und er bringt sich alles bei: die Wirkung des Lichts, den perfekten Schnitt, das beste Timing.
„Die Fabelmans“ ist ein richtig großer Wurf geworden. Er ist traurig und lustig, melancholisch und optimistisch, lehrreich und unterhaltsam, kurzweilig und nachdenklich, alles auf einmal. Und es steckt viel Weisheit darin. Ein rundum sehenswertes spätes Meisterwerk von einem der besten Geschichtenerzähler der Welt.
>>> Oscar-Anwärter „Die Fabelmans“<<<
„Die Fabelmans“ ist für sieben Oscars nominiert: bester Film, beste Hauptdarstellerin (nominiert: Michelle Williams), beste Regie, bester Nebendarsteller, bestes Originaldrehbuch, beste Filmmusik, bestes Szenenbild.
Steven Spielberg erhielt bisher zwei Regie-Oscars: für „Schindlers Liste“ (1994, auch bester Film) und „Der Soldat James Ryan“ (1999).