Essen. Visuelles Multitasking jetzt auch im Kino: „Missing“ ist ein viel zu langer, einfallsloser Smartphone-Thriller für das junge Publikum.

Hurra, jetzt geht die Post ab! So beurteilt die 18-jährige June (Storm Reid) die Lage, als ihre Mutter Grace (Nia Long) mit dem ersten festen Freund seit dem Tod ihres Ehemanns in ein verlängertes Wochenende nach Kolumbien fliegt. June nutzte die Zeit für Party und Spaß, hatte danach einiges zu putzen und steht jetzt am Flughafen, um Grace abzuholen.

Zwar kommt das Flugzeug aus Kolumbien pünktlich an, aber Grace und ihr Freund sind nicht an Bord. June ist irritiert, stellt erste Nachforschungen an, ohne Ergebnis. Dann zückt sie Smartphone und Notebook und beginnt mit eigenen Ermittlungen.

Regisseur Aneesh Chaganty legt noch eine Digitalschippe drauf

Ja, der digitale Mensch ist gläsern und daraus ergeben sich allerlei bislang nicht vorstellbare Möglichkeiten für moderne Spannungsgeschichten, seit Tracking-Apps und Whatsapp-Verläufe, Onlinebanking und Internettelefonie grundsätzlich für alle verfügbar sind.https://www.waz.de/kultur/anne-franks-vermaechtnis-auf-der-kinoleinwand-id237715331.html

Regisseur Aneesh Chaganty trimmte 2018 mit „Searching“ einen Entführungsreißer im Stile eines digitalen Cluedo-Bretts erstmals konsequent in Richtung einer Multi-Info-Optik. Nun legt er, diesmal als Produzent, noch eine Digitalschippe drauf, die etatmäßigen Filmschnittmeister Nicholas D. Johnson und Will Merrick sind hier die Regisseure.

In „Missing“ muss man sehr schnell schauen und Chats lesen

Man sieht also leinwandfüllend, was Leute sehen, wenn sie mit Finger und Daumen über Displays streichen oder auf Tastaturen hacken und mittels Benutzeroberflächen konsumieren und kommunizieren. Weil dabei Apps und Abläufe, Gedankenspiele und Telefongespräche oftmals zeitgleich passieren, muss man sehr schnell schauen und Chats lesen. Weshalb Gamer aufgrund des geübten Aufmerksamkeits-Hoppings bei diesem Film im Vorteil sein dürften.

Die Heldin sitzt allein zu Hause vor dem Notebook

Die Story aber bleibt trotz Multi-Info-Optik auf die traditionelle Balance aus Finesse und Plausibilität angewiesen. Diesen Faktor haben die Filmemacher aber unterschätzt. Der zunehmend exzessive Einsatz von Digitalprodukten nutzt sich spürbar ab, wenn die Heldin weitgehend allein zu Hause vor dem Notebook sitzt.

Ein später Handlungshaken verlagert das Geschehen dann katapultartig in die analoge Welt aus Fleisch und Blut – und versickert in der herkömmlichen Einfallsarmut eines Reißers für jugendliches Publikum. Was an sich nicht so schlimm ist, aber weil auch dieser US-Film ziemlich frei von Kontrolle und Disziplin mit einer Spielzeit von fast zwei Stunden viel zu lang daherkommt, fehlt der Strapaze eine angemessen substanzielle Entlohnung fürs Zuschauen.