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Das Anne-Frank-Haus, Amsterdam, irgendwann in naher Zukunft. Es regnet Bindfäden. Vor dem Gebäude kämpfen die Besucher mit Schirmen gegen den Wind. Da geht im Innern eine Vitrine zu Bruch. Und das Tagebuch erwacht zum Leben. Das Schicksal des jüdischen Mädchens, das sich im Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie in einem Hinterhaus über zwei Jahre vor den Nazis versteckte, ist künstlerisch oft bearbeitet worden. Mit „Wo ist Anne Frank“ legt der israelische Regisseur Ari Folman („Waltz With Bashir“, „The Congress“) nun einen Animationsfilm nach seiner gleichnamigen Graphic Novel vor, freigegeben ab sechs Jahren.

Was wäre, wenn Annes Geschichte fortgeschrieben werden könnte? Was hätte sie uns heute zu sagen? Fragen, denen Folman nachgegangen ist. Denn im Museum geschieht Mysteriöses. Die Buchstaben im Tagebuch formen sich zu einem Wesen. Ein etwa 13-jähriges rothaariges Mädchen erscheint. Kitty ist Annes imaginäre Freundin, mit der sie in ihren Aufzeichnungen spricht. Jetzt steht sie leibhaftig da und fragt sich: Was ist hier passiert?

Regisseur Ari Folman und Zeichnerin Lena Guberman

Eine üppig-bunte Welt hat Folman mit der Zeichnerin Lena Guberman erschaffen, inklusive großer wuchtiger Szenen wie Annes Vision vom Kampf der Filmstars gegen die Nazis und köstlicher Details wie der knollnasigen, schmunzelnden Fotografie von Clark Gable, die in ihrem Zimmer hängt. Als Kinofan litt Anne sehr darunter, dass sie als Jüdin kein Filmtheater mehr besuchen durfte.

Dafür, dass ihre Geschichte gegenwärtig bleibt, sorgen zwei verschachtelte zeitliche Ebenen, die auch von den Jahren im Hinterhaus erzählen. Riesig sind dabei die Nazis, die mit bleichen Gesichtern über langen dunklen Mänteln patrouillieren; ein einziger donnernder Gleichschritt, bei dem es einem Angst und Bange werden kann.

Sängerin Karen O und dem Rockmusiker Benjamin Goldwasser

Schon in den Szenen, die in den 40er Jahren spielen, entsteht Kitty aus Annes Notizen – in der Welt von heute braucht sie das Tagebuch, um sich nicht aufzulösen. Und so nimmt sie es aus dem Museum mit und wird bald von der Polizei verfolgt. Auf der Suche nach Anne im winterlichen Amsterdam erkennt sie die Wahrheit und ihre eigentliche Mission.

Ein traurig-schöner Film ist hier entstanden, der ein schweres Thema auch für ein jüngeres Publikum auf einfache Weise behandelt, musikalisch facettenreich untermalt von der Sängerin Karen O und dem Keyboarder Benjamin Goldwasser. So hat man Anne Frank noch nicht gesehen. Am Ende nimmt alles eine märchenhafte Wendung, steht ein Plädoyer für Hoffnung und Toleranz. Auch wenn das etwas dick aufgetragen ist – davon kann man heute nicht genug bekommen.