Berlin. Highlights liefen bei der Berlinale bislang in Nebenreihen. Hollywood-Star Willem Dafoie in Kölner Studio und das Debüt einer Dortmunderin.

Der Himmel über Berlin ist grau. Ähnlich farblos präsentiert sich bislang der Wettbewerb der 73. Berlinale. Nach der zweijährigen Zwangspause war die Vorfreude so enorm wie im rheinischen Karneval. Endlich wieder Kino! Endlich wieder Publikum und Stars!

Zur Eröffnung aber gab es die erste Ernüchterung mit Rebecca Millers lauer Lovestory „She Came to Me“, die nach dem Abspann bereits vergessen war und bei uns wohl nie das Licht der Leinwand erblicken wird. Ein ähnliches Schicksal blüht „Blackberry“, der die halbwahre Geschichte des gleichnamigen Smartphone-Tüftlers erzählt: Malen-nach-Zahlen mit Klischeefiguren. Und Regie-Veteranin Margarethe von Trotta, 80, vermag mit ihrer Künstler-Lovestory „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ kaum zu überzeugen. Was diesen Biedermann Max Frisch eigentlich so attraktiv macht für Ingeborg Bachmann bleibt unklar; die Dialoge wirken so hölzern wie die plakative Botschaft oder die unechten Kulissen. Man fühlt sich eher wie im Arte-Themenabend als im Wettbewerb eines A-Festivals.

Leonie Benesch, „European Shooting Star“ des Jahres 2023

Dort hätte schon viel eher das deutsche „Lehrerzimmer“ hingepasst, das jedoch aufs Nebengleis „Panorama“ abgeschoben wurde. Leonie Benesch, diesjähriger „European Shooting Star“, spielt in dem Drama von İlker Çatak eine idealistische Lehrerin, die voller Elan die Diebstähle an ihrer Schule aufklären möchte und dabei zum Zielobjekt von eifersüchtigen Kollegen, rechthaberischen Helikopter-Eltern und widerspenstigen Schülern wird. Atmosphärisch dicht und spannend wie ein Thriller entfaltete sich hier Gesellschaftskritik jenseits banaler politischer Korrektheiten.

Gleichfalls wettbewerbstauglich, jedoch nur als „Gala“ dabei, präsentiert sich die philosophische Polit-Komödie „Seneca“ mit John Malkovich. Schwein oder nicht Schwein? Das ist hier die Frage – was Macht mit Menschen macht, das ist Robert Schwentkes Thema. Nach Hollywood-Erfolgen mit „R.E.D.“ wechselt der Regisseur vom Popcorn zur Philosophie. Der Titelheld und wortgewandte Lehrer von Nero fällt bei dem Despoten in Ungnade und wird zum Selbstmord gezwungen. Malkovich gibt dem Affen genüsslich Zucker und liefert eine schwindelerregenden Tour de Force.

Hollywood-Star Willem Dafoe, eingesperrt in einem Kölner Studio

Willem Dafoe stellte seinen Kammerspiel-Krimi „Inside“ vor – gedreht in Köln!
Willem Dafoe stellte seinen Kammerspiel-Krimi „Inside“ vor – gedreht in Köln! © Getty Images | Adam Berry

Möglich wurde der surreale Coup dank Förderung der Film- und Medienstiftung NRW, die mit 15 geförderten Produktionen auf dem weltweit größten Publikumsfilmfestival vertreten ist. Darunter auch der Kammerspiel-Krimi „Inside“ mit Willem Dafoe als verzweifeltem Kunstdieb, der bei einem Raubzug zum Gefangenen in einer Luxuswohnung wird. Als Kulisse dienten die Kölner MMC Studios, die als höchstes Studio der Welt zuließen, ein 800 qm großes und 10 Meter hohes Luxusappartement aufzubauen. So großspurig die Bauten, so kleinteilig das Drehbuch. Der Nervenkitzel wird immer kleiner, der charismatische Dafoe freilich ist allemal ein Kino-Vergnügen.

Bescheidener gibt sich das Familiendrama „Geranien“ der aus Dortmund stammenden Hochschulabsolventin Tanja Egen. Zur Beerdigung der Oma reist eine junge Schauspielerin zurück ins Ruhrgebiet. Das alte Haus ihrer Kindheit ist so unverändert wie die Konflikte mit der Mutter. Ihr Debüt beschreibt die Regisseurin vielversprechend als „eine Art Friedensabkommen mit einer Stadt, einer Gegend und ein Stück weit auch der eigenen Geschichte.“

Netzwerken mit Stars und Schnittchen: Fatih Akin, Luna Schweiger, Wim Wenders

Weil Berlinale nicht nur Kunst, sondern mehr noch Business ist, gehört Klappern zum Handwerk: Mehr denn je geraten Empfänge zum Event. Networken mit Stars und Schnittchen. Die Bayern locken mit Weißwurst, die Schwaben mit Maultaschen in ihre Landesvertretungen. NRW macht Kino und Party derweil zur Chefsache, hier gibt sich traditionell der Ministerpräsident die Förder-Ehre auf dem Festival. Dem Ruf von Hendrik Wüst (CDU) und Petra Müller (Film- und Medienstiftung NRW) folgte ein hochkarätiges Who-is-Who der Branche. Die Sause am ersten Berlinale Sonntag gilt mittlerweile als eines der wichtigsten Events während des Festivals. Unter den tausend Gästen fanden sich „Rheingold“-Macher Fatih Akin, „Manta, Manta 2“-Star Luna Schweiger oder Wim Wenders. Großes Kino, wenn schon nicht im Wettbewerb, dann wenigstens in der Landesvertretung.