Gelsenkirchen. Ein Gespräch mit dem Gelsenkirchener Dramatiker Akın Emanuel Şipal über seine Stücke, seine Arbeitsweise und den Mut, auch mal zu scheitern.

Die besten Ideen kommen ihm unterwegs. Und der Dramatiker Akın Emanuel Şipal ist gern in Bewegung. Ob er durch die Stadt spaziert, im Café sitzt, seinen Sohn vom Kindergarten abholt oder einkauft, den Notizblock hat er immer dabei, und oft sind es Details, die seine Phantasie beflügeln. Wie neulich, als an der Supermarktkasse ein Mann mit dem alevitischen Schwert auf der Brust neben ihm stand, gekleidet wie ein Rockstar aus den 70er Jahren.

Der geht Şipal jetzt nicht mehr aus dem Kopf. Was mag das für einer sein? „Ich kann nicht anders, als meiner Neugier zu folgen“, sagt der 31-Jährige fast entschuldigend. „Als Künstler arbeitet man immer.“

Dass er genau beobachtet und gleichzeitig so viel und interessant erzählen kann, macht ihn vielleicht schon aus, den jungen Erfolgsautor, der zuletzt im Rahmen der Mülheimer Theatertage mit dem Publikumspreis geehrt wurde.

Deutsch-türkische Geschichte(n)

Denn trotz seines Alters ist Akın Emanuel Şipal in seinem Job so etwas wie ein alter Hase. Seit er 20 ist, schreibt er Theaterstücke, zehn hat er beim renommierten Suhrkamp-Verlag veröffentlicht; acht wurden bisher uraufgeführt. Inzwischen kann er gut davon leben. Dazu kommen diverse Filmprojekte und auch sonst hat er als Familienvater einiges zu tun. Şipal hat zwei kleine Kinder, einen vierjährigen Sohn und eine einjährige Tochter und als freier Autor diverse Hausmann-Pflichten. Und eine Frau, die beruflich nach Düsseldorf pendelt.

Womit eines seiner wichtigsten Themen genannt wäre. Die Familie. Der smarte junge Mann mit dem schwarzen Vollbart hat Wurzeln in Istanbul, Adana und Breslau, in seinem in Mülheim ausgezeichneten Stück „Vater Mutter Land“ erzählt er davon. Eine deutsch-türkische Familienchronik, in deren Mittelpunkt sein Großvater Kamuran Şipal steht, der als Schriftsteller und Übersetzer in Istanbul 70 Bücher ins Türkische übertrug, darunter Freud und Jung, Hesse und Kafka, Brecht und Böll.

Akın Emanuel Şipal selbst wurde 1991 in Essen geboren und ist in Gelsenkirchen aufgewachsen, wo er jetzt auch wieder lebt. In vielen Städten hat er gewohnt, eine Zeit lang auch in Istanbul, regelmäßig fliegt er in die Türkei, um seine Verwandten zu besuchen. Manchmal kommt ihm Woody Allens „Zelig“ in den Sinn, der Lieblingsfilm seines Vaters über einen Menschen, dessen besondere Eigenschaft es ist, sich perfekt an die jeweilige Umgebung anzupassen. „Also ich könnte überall andocken.“

Er lässt Kulturen und Klischees aufeinanderprallen

Und überhaupt, das deutsch-türkische Verhältnis. Das lässt ihn nicht los, da landet er eigentlich immer, auch wenn er das gar nicht beabsichtigt hat. 2015 erzählte er in „Kalami Beach“ eine deutsch-türkische Liebesgeschichte an einem griechischen Strand. In „Ein Haus in der Nähe einer Airbase“ (2018) zieht eine Familie aus Abenteuerlust nach Adana zurück. Mit „Istanbul“ hat er einen Liederabend vorgelegt – in der Komödie „Shirin & Leif“ ließ er 2019 Kulturen und Klischees aufeinanderprallen.

Aktuell gräbt der 31-Jährige tiefer: Sein neuer Text dreht sich um die Geschichte des Osmanischen Reichs und der Gründung des Safawidischen Staats, wobei die tragende Rolle ein heutiger Familienvater spielt: Der versucht nämlich, zwischen Kinderbetreuung und dem ständigen Ein- und Ausräumen der Spülmaschine ein Theaterstück zu schreiben. Vielleicht auch ein Gruß ans Alter Ego. Premiere ist im August am Schauspiel Köln.

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Angefangen hat alles mit dem Hip-Hop, mit „Battle-Rap“; Texten für Wettbewerbe, bei denen Rapper gegeneinander antreten. Ein Spiel mit Tempo, Sprache, Rhythmus. Später entstanden daraus Dialoge. Mit seinem ersten Stück „Vor Wien“ gewann Şipal 2012 gleich den bundesweiten Wettbewerb „In Zukunft“. Da war er noch Filmstudent in Hamburg. Erzählt hat er damals von einem Geschäftsmann, der sich in seinem Alltag allmählich auflöst.

Eine Alternative wäre der Film

Die Quelle seiner Geschichten ist die Welt um ihn herum. „Der öffentliche Raum ist superinteressant, um zu verstehen, in welcher Gesellschaft wir leben.“ Seine Werke entstehen dann peu à peu, er orientiere sich schreibend, schildert er. Dabei kommt es auch schon mal vor, dass er die ersten 30 Seiten wieder zerreißt und von vorn beginnt. Scheitern gehört dazu, „wenn man dazu nicht bereit ist, hat man als Künstler ein Problem.“ Und was macht ein gutes Stück aus? „Es muss eine Aura haben, Inhalt und Reiz.“ Oder anders gesagt: „Es darf nicht leer sein.“

Wenn er Zeit hat, flaniert er gern und lässt die Zeit verstreichen – aber auch Reisen, Fotografieren, Fußball und Tennis machen ihm Spaß. Und natürlich das Theater, das für ihn jedoch nur ein Teil des Ganzen ist. Eine Spielart der Wahrnehmung von Welt. Der Film wäre eine berufliche Alternative gewesen. „Es ist eigentlich ein Zufall, dass ich Stücke schreibe.“

Unabhängig will er bleiben und offen für alles, gerade sitzt er an seinem ersten Kinderstück. Wobei die Zeit an diesem Tag allmählich knapp wird. Wir hätten noch stundenlang reden können.

>>> Zur Person: Akın Emanuel Şipal <<<

Akın Emanuel Şipal, geboren 1991 in Essen, studierte Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg.

Als Drehbuchautor ist er an diversen Filmen beteiligt, die auf internationalen Festivals zu sehen sind, darunter das Festival des Films du Monde de Montréal, das Shanghai International Film Festival oder das Cairo International Film Festival.

In der Spielzeit 2016/17 war der 31-Jährige Hausautor am Nationaltheater Mannheim. Danach ging er als Hausautor ans Theater Bremen (bis 2019). Auch das Stück „Vater Mutter Land“ ist eine Auftragsarbeit für das Theater Bremen.