Essen. Der neue Film von Martin McDonagh heißt: „The Banshees of Inisherin“ und hat mit acht Globe-Nominierungen reichlich Vorschusslorbeeren gesammelt.
Acht Golden Globe-Nominierungen? Echt jetzt? „The Banshees of Inisherin“ ist ein Film dessen tieferer Sinn sich womöglich erschließt, wenn man schon das ein oder andere Pint konsumiert hat. Dann ist es vielleicht ein großartiger Film. Nüchtern betrachtet, wie es sich für den Kritiker ziemt, ist es eine bildstarke und eindrucksvoll gespielte Geschichte, die nicht ganz idyllisch genug ist, um in Heinrich Bölls irischem Tagebuch aufzutauchen.
Denn genau da, an beziehungsweise vor der irischen Westküste, auf der Insel Inisherin, spielt der Film von Martin McDonagh vor sehr genau 100 Jahren: Ab und an hallt der Geschützdonner des Bürgerkriegs vom Festland herüber und der Insel-Gendarm, der mit Leidenschaft seinen minderbemittelten Sohn verprügelt, fährt schon mal hinüber zur Hauptinsel, um sich mit ein paar Hinrichtungen etwas dazuzuverdienen.
Vor derlei finsterem Hintergrund zeichnet Martin McDonagh (Buch und Regie, bekannt durch „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“) ein nahezu bukolisches Idyll, in das das Unheil auf sanften Pfoten hineinschleicht – nicht zum ersten Mal übrigens. Der Film ist dritter Teil einer Trilogie über das Leben und Sterben auf den westirischen Aran-Inseln. Die ersten beiden hat er als Theaterstück inszeniert, den dritten hielt er für zu schwach für die Bühne. Oha!
Eine leicht verbeulte Parabel auf den Sinn und Unsinn des Lebens
Nun also der Film, für den der Begriff Tragikomödie ein fast zu freundliches Wort ist. Es ist eher eine leicht verbeulte Parabel auf den Sinn und Unsinn des Lebens. Pádraic Súilleabháin (Irlands Top-Export nach Hollywood: Colin Farrell, bereits auf dem Filmfest Venedig als bester Darsteller ausgezeichnet) will seinen Kumpel Colm Doherty (großartig finster: Brendan Gleeson und ebenso wie Farrell in „Brügge sehen und sterben“ zu bewundern) wie immer zum Pubbesuch abholen, dieser jedoch lehnt ab.
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Er habe beschlossen, die Freundschaft zu beenden. Ohne Groll, einfach so, er wolle seine Ruhe haben. Immer nur nett sein, im Pub Geschichten erzählen und im Laden Neuigkeiten gegen Ware tauschen - das kann nicht alles sein. Das Leben muss Tieferes bieten und Doherty sucht es in der Musik, will ein Geigenstück für die Ewigkeit schaffen - dafür kommen dann sogar Studenten vom Festland auf die Insel.
Pádraic kann mit dem Ende der Freundschaft nicht leben, bohrt immer wieder nach, bis Doherty droht: Ich hacke mir einen Finger ab, wenn du mich noch einmal ansprichst. Damit nimmt das Unheil seinen Lauf, weil womöglich eine Feindschaft immer noch mehr Verbindung zwischen zwei Menschen schafft als Gleichgültigkeit.
Felder, Mauern, Armut und eine vergebliche Liebe
Das alles wird vor gerade zu archetypischer Kulisse erzählt: Pub, Kirche samt Beichtstuhl und strengem katholischen Priester, Felder mit Steinmauern, Armut und vergebliche Liebe und Sehnsucht nach der großen, weiten Welt da drüben auf dem Festland - wo aber ja nun auch der Krieg tobt. Dazu die finstere blinde alte Frau, die allzeit Unheil vorhersagt auf dieser Insel, die mit Weite, Regenbögen und Sonnenuntergängen daherkommt wie aus dem Prospekt für die Fremdenverkehrswerbung.
Eindrucksvolle Bilder also, dazu ein mindestens ebenso eindrucksvolles Schauspielerensemble - wir haben noch gar nicht Pádraics sich emanzipierende, also auswandernde Schwester Siobiàn (Kerry Condon, spielte auch in den „Three Billboards“ mit und bei „Better Call Saul“) erwähnt und den grenzdebilen Sohn (Barry Keoghan) des Wachtmeisters. Und eine Geschichte, nach der man ein zwei Pint braucht, um wieder in der Realität anzukommen. Dann kann man auch im Pub vielleicht erklären, warum man diesen Film gesehen haben sollte und warum er die acht Golden Globes womöglich wirklich verdient.