Essen. „She said“ erzählt von den Journalistinnen, die Harvey Weinstein zu Fall und #MeToo ins Rollen brachten. Kann der Stoff auch filmisch überzeugen?

Megan Twohey recherchiert für die „New York Times“ in Fällen sexuellen Missbrauchs. Vor allem Vorkommnisse in Hollywood versprechen eine spektakuläre Story. Die betroffenen Frauen aber schweigen oder wurden bisher, wie etwa die Schauspielerin Rose McGowan, auch von der Presse ignoriert. Zusammen mit der ebenfalls im Thema engagierten Kollegin Jodi Kantor soll Megan nach ihrer Schwangerschaft die Recherchen intensivieren. Immer mehr rücken Machenschaften um sexuellen Missbrauch in Hollywood und besonders um den mehrfach oscar-prämierten Produzenten Harvey Weinstein ins Visier. Dann bricht eine erste Betroffene ihr Schweigen.

Seriöser Enthüllungsdrang und Beharrlichkeit sind die journalistischen Eigenschaften, denen seit Alan J. Paculas Watergate-Film „Die Unbestechlichen“ (1976) immer wieder neue filmische Denkmäler gesetzt werden. Der letzte große Beitrag war 2015 „Spotlight“, der die anderthalb Jahrzehnte zurückliegenden Recherchen zu sexuellem Missbrauch in der amerikanisch katholischen Kirche beleuchtete und dafür sogar den Oscar als bester Film des Jahres errang.

Buchstabengetreue Verfilmung

Und nun kommt „She Said“, Maria Schraders erste Regiearbeit in den USA. Sie liegt nur sechs Jahre hinter den Arbeiten zurück, die das Scheinwerferlicht auf einen Sumpf männlicher Selbstherrlichkeit in Hollywoods Machtzentren richteten und schließlich zur #MeToo-Bewegung führten. Und weil sich alles streng an den Buchstaben des 2020 veröffentlichten Sachbuchs „She Said“ der beiden beteiligten Journalistinnen Twohey und Kantor hält, dünstet jedes Bild des Films eine in edlem Ernst gestählte Unantastbarkeit aus. Was grundsätzlich gerechtfertigt ist. Die historischen Fakten sprechen für sich und es geht ja um eine gute Sache. Aber ist es auch ein guter Film?

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Selbst Menschen, die solche Filme gern als Abbild der Wirklichkeit begreifen, werden die Machart nicht komplett zugunsten des Anliegens ausblenden können. Da ist etwa die Länge des Films: 129 Minuten sind schon viel, wenn es dabei meist nur Leute zu sehen gibt, die Gespräche führen, oft am Telefon. So ist nun mal journalistische Arbeit, klar; aber auf der Kinoleinwand darf auch szenisch verdichtet und spannend erzählt werden. Man hätte gern auch zeigen dürfen, worüber hier geredet wird. „Bomb­shell“, ein sehr ähnlicher Film über sexuellen Missbrauch bei Fox News, war in diesem Punkt ungleich geschickter angelegt. Man darf sich auch wundern, wie distanzlos US-Reporterinnen agieren, wenn sie unangemeldet bei anderen Leuten hereinplatzen. Nun, die „New York Times“ macht das wohl wirklich so, es hat Erfolg, wird also auch nicht hinterfragt – aber auch nicht im Kino?

David gegen Goliath

Der Film präsentiert seine Story in der klassischen David-gegen-Goliath-Dramaturgie; aufrechte Reporterinnen stürzen mächtigen Hollywood-Drecksack. Aber was empfinden sie dabei, außer dass es um eine große, gerechte Sache geht? Gibt es Momente des Zweifels? Gibt es Konkurrenzdruck untereinander? Nein, alle ziehen so verbissen-ernst wie unermüdlich am Strang der guten Sache und sind nie erstaunt, weil sie eigentlich schon alles wissen. Und sprechen Sätze, deren Bedeutsamkeit nicht in Frage zu stellen ist.

Carey Mulligan und Zoe Kazan spielen das Recherche-Team Twohey und Kantor, ihre Gesichter sind konzentriert und entschlossen, und das ausschließlich. Man hält zu ihnen, weil sie auf der richtigen Seite stehen, aber emotionale Nähe stellt sich kaum einmal ein. Was auch an der Bildgestaltung liegt. Die Kamera (Natasha Braier) versucht, den dauerhaften Gesprächsfluss durch Wechsel zwischen Nähe und Distanz aufzubrechen und erklärt Aufnahmen im milchigen Gegenlicht zum obersten Stilmittel. Trotzdem wirken alle Bilder flach und atmosphärelos. Das ist mehr Film als Kino, mehr Doku als Film.

Möglicherweise ist es erfüllender, die seit einigen Tagen im Tropen-Verlag erhältliche deutsche Taschenbuch-Fassung von Twohey und Kantor zu lesen. Der 2020 zu 23 Jahren Gefängnis verurteilte Harvey Weinstein sitzt derweil im Knast und wartet auf sein nächstes Urteil. Wie gesagt, eine starke Story.