Essen. Das „Now!“-Festival für Neue Musik 2022 ist vorbei. So hat unser Autor das facettenreiche Abschlusskonzert in der Essener Philharmonie erlebt.
Ausgerechnet der in Essen wirkende Komponist und Folkwang-Dozent Günter Steinke wurde beim „Now!“-Festival für Neue Musik zum „exotischen Außenseiter“. Die mit 17 Konzerten vollgepackte Aufführungsserie gehörte in diesem Jahr Musikern vieler Länder und fast aller Kontinente – mit Ausnahme Deutschlands. Damit nahm Steinke sogar im Abschlusskonzert des WDR Sinfonieorchesters einen Sonderstatus ein, obwohl mit Georges Aperghis und Iannis Xenakis vertraute Namen auf dem Programm standen.
Dem Motto des diesjährigen Festivals folgend nennt Steinke sein neues, für (sehr) großes Orchester gesetztes Werk „Horizonte“. Und die vielschichtigen Eindrücke, die Blicke über den Horizont auslösen können, spiegelten sich in dem kraftvollen und filigran geformten Stück plastisch wider. Es ist ein engmaschig strukturiertes Werk, von pulsierender Energie erfüllt, in schillernden Farben instrumentiert und an Spieltechniken und Klangeffekten alles aufbietend, was die zeitgenössische Musik zu bieten hat. Eine ideale Vorlage für ein Avantgarde-erprobtes Orchester wie das WDR Sinfonieorchester, das unter Leitung von Emilio Pomàrico keine Wünsche offenließ. Entsprechend euphorisch reagierte das Publikum in der zufriedenstellend besetzten Essener Philharmonie auf die gelungene Uraufführung.
Immer noch brillant: Iannis Xenakis
Ähnlich bunt geht es auch in der brandneuen Arbeit „Maschinenangst II“ des türkischen Komponisten Mithatcan Öcal zu. Eine Computer-gestützte Komposition, die zwar mechanische Abläufe erkennen lässt, aber keine Ängste auszulösen vermag. Dafür driftet der Komponist zu vordergründig, bisweilen die Grenzen der Banalität streifend, in wohlige tonale Gefilde ab.
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Was die von Günter Steinke angestrebte „Energie“ angeht, damit setzte allerdings Iannis Xenakis bereits vor 35 Jahren mit „Ata“ bis heute gültige Maßstäbe. Obwohl Xenakis auf eine große Schlagzeug-Batterie verzichtet und sich mit einer relativ konventionellen Streicher- und Bläserbesetzung begnügt, fasziniert das Werk nach wie vor durch seine komprimierte Kraft und seine brillanten Klangmischungen. Darin kommt ihm allenfalls noch sein griechisch-französischer Kollege Georges Aperghis nahe, der sich, obwohl Orchestermusik nicht zu seiner Domäne gehört, in seinen kurzen Etüden ähnlich prägnant und vielschichtig ausdrücken kann wie der 2001 verstorbene Xenakis.
Ein hochwertiger Abschluss einer 10-tägigen Reise durch avantgardistische Kulturen von Japan und Indien bis Korea und die Ukraine. Und das Stammpublikum hielt dem Festival allen, auch den nicht immer bequemen Abenden die Treue.
Weitere Informationen unter: www.now-festival.de.