Bonn. Museumsreif oder brandaktuell: Tod und Unzerstörbarkeit der Oper spürt eine Ausstellung der Bundeskunsthalle noch bis 2023 nach.

Auch wenn Loriots Antwort auf die Frage nach dem vollkommenen Glück („Bayreuth – Ankunft“) und Unglück („Bayreuth – Abfahrt“) in Bonns Bundeskunsthalle keine Abteilung gewidmet ist: Der Humorist hat benannt, was es heißt, der Oper verfallen zu sein. Das Museum wird 30, die Gattung gut 400 Jahre alt. Ein Ergebnis ist „Die Oper ist tot. Es lebe die Oper.“

Dass man titelgebend die alte französische Heroldsformel nutzt, beschreibt nicht zuletzt die Königsklasse der Kunstform. Gesang und Schauspiel, Musik, aufwendigste Bühnenmalerei, Tanz: Alles kam hier zusammen, wurde mit der Reife der Gattung immer pompöser. Auge und Ohr überwältigt das in den größten Momenten derart, dass man ihr ein konkurrenzloses Suchtpotenzial attestieren darf.

Bonns Bundeskunsthalle wird 30 und feiert die Unsterblichkeit der Oper

Wir wollen es nicht Fetisch nennen, aber die Menschen, die in dieser Schau vor 100 Jahren alten Kostümen legendärer Interpreten von Lohengrin, Radames oder Tosca verharren, als berührten sie das Schweißtuch der Veronika, die müssen mit Oper als Opiat grundsätzlich schon viel anfangen können. Sie werden andächtig blicken auf Originalplakate von Scala und „MET“ (mit deren Erfindung sich einst neureiche Amerikaner gesellschaftliche Achtung erkauften), von deren 1967 abgerissenem Ur-Bau ein Stück Bühnenseil hinter Glas zu sehen ist. Reliquien? In Bonn sagt man „ikonische Kostbarkeiten“.

Alexander Meier-Dörzenbach (einst Chefdramaturg am Essener Aalto-Theater) hat diese Schau ganz offensichtlich für Liebhaber erdacht. Sie ist ein historischer Abriss, der trotz nicht allzu üppiger Quadratmeterzahl die Sinnlichkeit des Gegenstands beschwört. Das beginnt am Einlass, wo wir (kleine Wandlüster auf violetter Tapete!) einen kurzen Tunnel durchmessen, als schritten wir ehrfürchtig zur „Traviata“-Premiere. Das sanfte Dunkel der Ausstellungshalle senkt den Raum in Andachtsatmosphäre weitab aller aufgesetzten Munterkeit à la Klassik-Radio.

Jeder Besucher erhält ein Handy und wird individuell beschallt

Es geht weiter mit den plastischen Modellen früher Prachttheater und vor allem gibt es dutzendfach auf die Ohren; den Himmel berührende Soprane, wuchtige Ouvertüren, erhabene Chöre. Der Saal aber atmet grundsätzlich Stille, jeder Operngenuss bleibt etwas Persönliches. Niemand sollte den Rundgang ohne das im Eintrittspreis eingeschlossene Leihgerät wagen. Ihm kommt eine zentrale Funktion zu. Das kleine, um unseren Hals baumelnde Handy erkennt unsere Position im Raum und beschallt uns per Kopfhörer, je nach Schau-Objekt mit Don Giovannis Champagner-Arie oder Wagners Walküren-Ritt.

Apropos Wagner: Auch ihm gilt nach zentralen Schau-Stationen, wie den Anfängen in Florenz oder der Vermarktungsmaschinerie der Mailänder Scala, eine Abteilung. Was Wagners so oft als Scheune verspotteter Bayreuther Neubau bedeutete, ist indes nur das eine.

Viel Wagner, viel Öl: Auch die Oper in der Malerei ist ein Thema

Die die ganze Kunstwelt elektrisierende Dimension seines Musiktheaters das andere, dokumentiert etwa durch herrliche Schinken in Öl. Nach Bonn geholt hat man aus dem Prado Rogelio de Egusquiza y Barrenas „Parsifal“ von 1910, weltentrückt geht er (Messias und Apoll zugleich) auf uns zu. Und in Hans Makarts Szenen aus dem „Ring des Nibelungen“ pulst das schwere Blut eines Zwists zwischen Weltherrschaft und Entsagung. „Opernreif“, möchte man berauscht sagen, wenn es das nicht längst wäre.

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