Das siebte Album der englischen Superstarband Arctic Monkeys ist ein elegant-opulentes Meisterwerk. Ein wahres Fest der großen Gefühle.
„The Car“ ist eines dieser seltenen Alben zum Reinlegen. Man kann sich von diesen zehn neuen Liedern, die Sänger Alex Turner größtenteils im Alleingang schrieb, wunderbar umhüllen und für 37 Minuten vollständig in Beschlag nehmen lassen, ein Fest der großen Gefühle. Das pulsierende Herz der Platte – es ist die siebte der Arctic Monkeys und bislang schafften es in Großbritannien alle auf Platz Eins – ist die Stimme des Frontmanns.
Gesanglich hat Turner, 36 und zwischen London und Paris pendelnd, wo seine Freundin lebt, enorm zugelegt. Er lotet die tiefen Stimmlagen aus, etwa im angenehm ehrwürdig und altmodisch klingenden „I Ain’t Quite Where I Think I Am“, aber auch das Falsett beherrscht er inzwischen souverän.
Man denkt an Frank Sinatra, Nick Cave oder auch George Michael
Turner, privat ein freundlicher Introvertierter und weit davon entfernt, die klassische Rampensau zu sein, gibt in Songs wie dem Eleganz-Monster „There’d Better Be A MIrrorball“, dem glitzernden Kronleuchterpop von „Sculptures Of Anything Goes“ oder dem romantisch bis erotisch glimmenden „Body Paint“ den supersouveränen Crooner. Die Assoziationen lassen nicht lange auf sich warten. Man denkt an Frank Sinatra, an David Bowie, an Nick Cave, an die Tindersticks, an Serge Gainsbourg, an Bryan Ferry oder – etwa im besonders üppigen und ausschweifenden Titelsong - auch an den George Michael aus der „Older“-Ära. „The Car“ ist von vorne bis hinten allerfeinste Erwachsenenmusik, opulent, ausschweifend und großartig.
Die Arctic Monkeys nehmen die Kurven in ihrer Karriere in vollem Tempo
Es ist wahrlich hochaufregend und bereichernd, dieser Band beim Großwerden zuzuhören. Denn das Quartett aus Sheffield, 2002 zu Schulzeiten gegründet, spielt nicht wie so viele einfach seinen Stiefel runter, um dann, ebenfalls wie so viele, mit den Jahren immer erwartbarer und uninteressanter zu werden. Nein, die Arctic Monkeys – neben Alex Turner sind das Jamie Cook, Nick O’Malley und Matt Helders – nehmen die Kurven in ihrer Karriere in vollem Tempo.
Auch interessant
Man erinnert sich ja noch gut, wie sie Ende 2005 auf der Matte standen. „I Bet You Look Good On The Dancefloor“ hieß ihr erster Hit, phantastisch-euphorischer Britpop, sofort ein Riesenerfolg, die Jungs waren noch Teenager und etwas übermannt von der Situation. Aber sie renkten sich schnell wieder ein, bis heute wohnt ihnen – bei aller künstlerischen Flamboyanz – eine angenehme Bodenständigkeit inne, speziell Aushängeschild Alex lebt trotz der Aufmerksamkeit stoisch sein Leben.
Die amerikanische Phase der Arctic Monkeys
Das 2006 erschienene Album „Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not“ verkaufte sich im Rekordtempo. Schon bald jedoch wurde klar, dass die Jungs größere Ambitionen hatten als Großbritanniens führende Schrammelrockband zu bleiben. 2013 taten sie sich mit Josh Homme von den Queens Of The Stone Age zusammen, um das tolle Wüstenrockalbum „AM“ aufzunehmen. Aus jener amerikanischen Phase der Band stammt auch das Apartment in Downtown Los Angeles, aus dessen Fenster heraus Schlagzeuger Matt Helders jenen einsamen Toyota Corolla auf dem Parkdeck fotografierte, der nun das Cover von „The Car“ schmückt.
Mittlerweile ist Helders aber aus- und die Arctic Monkeys stilistisch weitergezogen. Für offene Münder (und vereinzeltes Unverständnis) sorgte 2018 das zurückgelehnte Lounge-Pop-Werk „Tranquility Base Hotel & Casino“, mit dem die Band alles Vorherige konterkarierte – und letztlich auch triumphierte. „The Car“ nun ist in gewisser Weise das Update von „Tranquility Base“, keine Neuerfindung, sondern eine Verbesserung.
Insgesamt 18 Streicher nehmen auf „The Car“ viel Raum ein
Die Gitarren, überhaupt das Element des Rockigen als solches, haben wieder Einzug gehalten, besonders schön in „Hello You“, aber nicht durchgängig, sondern aufblitzend und dann Akzente setzend. Demgegenüber stehen die Streicher (insgesamt 18 an der Zahl, ein richtiges Orchester), die viel Raum einnehmen und dem Album den Anstrich des – das ist jetzt als Kompliment gemeint! – Alterswerks verpassen. Man hört der Platte, etwa im herrlich schwülstigen „Jet Skies On The Moat“, zudem durchaus an, dass der Vater von Alex Turner ein leidenschaftlicher Jazzliebhaber (und Hobbymusiker) ist.
Die Songtexte sind, wie meistens bei Turner, eher wenig konkret und poetisch. So richtig weiß man nicht, worüber er singt, grob scheint es über den Fluss des Lebens, über Begegnungen, Abschiede und eine grundsätzliche Ruhelosigkeit zu gehen, es sind die Worte eines Viel-über-sich-und-andere-Nachdenkenden. Die Aufnahmen zu „The Car“ fanden vorwiegend im vergangenen Sommer in der englischen Landidylle Suffolks statt. Produziert hat wieder James Ford, zusätzliche Arrangements steuerte Bridget Samuels bei, auf deren Kappe auch die Musik von „Midsommar“ geht.
In den Arbeitspausen guckten die Musiker die Fußball-EM
Dass die Grundstimmung auf „The Car“ im Vergleich zu der des beklemmenden Schweden-Horrorfilms merklich heller, freundlicher und lebensfröhlicher ausgefallen ist, mag auch ein wenig damit zusammenhängen, dass die Band in den Arbeitspausen so manches Match der für Engländer (bis auf den Schluss) sehr vergnüglichen Fußball-EM geschaut hat.
Wird übrigens sehr spannend zu sehen, wie die Arctic Monkeys ihr plüschiges Popmeisterwerk dann kommendes Jahr in den Stadien und Arenen umsetzen – aber auch das wird ihnen ganz bestimmt gelingen.