London. . Nachruf auf einen der größten Popstars der 80er-Jahre, der auch an den Widersprüchen zwischen seinem Image und seiner Persönlichkeit zerbrach.
Dies ist der Tag, an dem ich mich ein bisschen dafür schäme, dass ich noch jüngst auf George Michael schimpfte, als mir mit voller Wucht „Last Christmas“ aus den Lautsprechern eines Elektronikmarktes um die Ohren schallte. Dieser süßliche Synthie-Song, ein Weihnachtsdauerbrenner, Segen und Fluch zugleich, der zweitbeliebteste Festsong der Deutschen nach „Stille Nacht“ – und vermutlich auch der meistgehasste.
Der Mann, dem wir ihn verdanken, ist am ersten Weihnachtsfeiertag gestorben. George Michael wurde nur 53 Jahre alt. Ob sein exzessiver Lebenswandel, der von Höhenflügen und Tiefschlägen geprägt war, zu diesem frühen Tod geführt hat, darüber kann man derzeit nur spekulieren. Dass es ein weiterer großer Schlag für die Popwelt im verlustreichen Jahr 2016 ist, darüber lässt sich allerdings kaum diskutieren.
Am Anfang standen Rap und Dance-Musik
Das Duo Wham!, das George Michael gemeinsam mit seinem Schulfreund Andrew Ridgeley gegründet hatte, landete 1983 die ersten Hits, als die beiden gerade 20 Jahre alt waren. Dabei bedienten sie sich ungeniert bei schwarzen Musikstilen, lieferten eine mit Synthesizern aufgepeppte Version des Motown-Souls, griffen dabei auch mal tief in die Funk-Schublade. Und fast vergessen: Ihre ersten beiden Hits „Young Guns“ und der „Wham Rap!“ waren das, was man heute wohl Old-School-HipHop nennen würde. Aber eigentlich standen Wham! für die Dance-Musik ihrer Zeit.
Es gab eine Zeit, in der konnten Wham! und George Michael, der auch zu Bandzeiten Solo-Songs veröffentlichte, nichts falsch machen: Das karibisch-schwelgende „Club Tropicana“, der Elektro-Jive „Wake Me Up Before You Go-Go“, „Everything She Wants“ und „Edge Of Heaven“ waren nur einige der Erfolge, mit denen Michael international berühmt wurde, in Großbritannien und den USA fuhr er viele Nummer-1-Platzierungen ein.
Als das Image so wichtig wurde wie die Musik
George Michael stolzierte in jene Popwelt hinein, in der Videoclips tatsächlich dabei waren, den Radiostar vom Podest zu stoßen, in der Image so wichtig war wie Musik. In dieser Gewissheit ließ sich Michael, der schon früh zumindest von seinen bisexuellen Neigungen wusste, bewusst als Mädchenschwarm inszenieren: Zunächst als freches Lederjacken-Bürschchen in „Bad Boys“ oder als den Mädels hinterher starrender Poolboy für „Club Tropicana“. Später als sanfter Lover mit wohlgestylter Fönfrisur für die Solo-Single „Careless Whisper“, in deren Video er mit einem knapp geschürzten Supermodel auf einer weißen Yacht durchs Meer pflügte.
Und dazwischen: „Last Christmas“, jener Song, in dem es eigentlich darum geht, dass Michael zum Weihnachtsfest des Vorjahrs von seiner Angebeteten abserviert wurde – und trotzdem etwas für sie empfindet, obwohl er sein Herz jemand Besonderem versprochen hat. Eher zufällig ein Weihnachtslied, eher eins über das Prickeln einer aufgewärmten Romanze.
Depressionen nach dem Tod des Lebensgefährten
Nach der Trennung von Wham! im Jahr 1986 trieb Michael dieses Womanizer-Image immer weiter auf die Spitze, als er 1987 mit „I Want Your Sex“ als dreitagebärtiger Brusthaarvorzeiger aggressiv seine in knappe Spitzen gehüllte Videopartnerin zu Aktivitäten unterm Seidenlaken aufforderte.
Der enorme Kontrast zwischen dem nach außen getragenen Image des Hetero-Machos und des homosexuellen Künstlers hat an George Michael genagt. Selbst durch die 90er-Jahre, nachdem der Aids-Tod seines Lebensgefährten ihn zusätzlich zum Tod seiner Mutter in Depressionen und Drogensucht gestürzt hatte, hielt er seine Homosexualität geheim.
Das Coming-out kam spät und unfreiwillig
Erst als er 1998 in Los Angeles auf einer öffentlichen Toilette durch Entblößung versucht hatte, einen Sexpartner zu finden und deshalb verhaftet wurde, hatte er sein Coming-out. Michael selbst gab an, dass er sich wohl insgeheim nach einem Skandal gesehnt hätte.
Es war nicht das einzige Mal, dass der Multimillionär, der allein dank seiner Tantiemen längst ausgesorgt hatte, mit dem Gesetz in Konflikt geriet. 2010 rammte er unter Drogeneinfluss mit dem Auto ein Gebäude in London – und ging für vier Wochen ins Gefängnis.
Frühe Vorahnungen zum eigenen Ableben
Trotz solcher Probleme produzierte er immer wieder Erfolge, in den 90ern mit „Freedom“ und „Jesus To A Child“, zuletzt mit dem Album „Symphonica“.
Michael, der unter dem Namen Georgios Kyriakos Panagiotou geboren wurde, erlag nach Angaben seines Managers einem Herzversagen. Schon zu Beginn der 90er-Jahre schien er Vorahnungen zu haben. Damals sagte er: „Ich habe das Gefühl, ich werde nicht sehr lange leben. Es ist nicht bloß die Angst vor dem Alter oder ein geheimer Todeswunsch, es ist ein bestimmtes Gefühl. Und bislang lag ich immer richtig mit meinen Ahnungen, was die Zukunft wohl bringen könnte.“