Wuppertal. Ein bisschen Instagram war immer. Im Von der Heydt-Museum geht es um die (Selbst-)Darstellung vom Ende des 19. Jahrhundert bis heute.
Wie ernst sieht er aus, der junge Anton Webern. Ein Bild von einem Künstler. Eine Hand in der Tasche, den Körper seitlich vorgeneigt, keine Spur von einem Lächeln. Die geballte Schaffenskraft. 1909/1910 hat Max Oppenheimer den österreichischen Komponisten und Dirigenten porträtiert und schuf eine perfekte Inszenierung. Und die ist es, die Webern hier eine ungewöhnliche Gesellschaft beschert. Schritte weiter lässt Marilyn Monroe für Andy Warhol die Wimpern klimpern, staunt man vor einem Bild der südafrikanischen Künstlerin Zanele Muholi, die sich dem Betrachter mit herausforderndem Blick entgegenstellt.
Was die drei verbindet? Das Porträt, die Pose. Und um die dreht sich derzeit alles im Wuppertaler Von der Heydt-Museum. Unter dem poetischen Titel „Fremde sind wir uns selbst. Bildnisse von Paula Modersohn-Becker bis Zanele Muholi“ sind 42 Gemälde, 50 Fotografien und acht Zeichnungen zu sehen, die sich mit der Kunst der (Selbst-)Darstellung und Repräsentation beschäftigen.
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Ein gekonnter Spagat zwischen früher klassischer Moderne und Gegenwart, gespeist fast ausschließlich aus dem eigenen Museumsbestand, der eins verdeutlicht: Selbstdarstellung gibt es keinesfalls erst seit Instagram.
In Wuppertal geht es um Selbst- und Fremdwahrnehmung
Der Titel ist Julia Kristevas gleichnamigem Buch entliehen, informierte Museumsdirektor Roland Mönig bei der Präsentation. Auch Kristeva geht es um die Spannung zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Im selben Maße, in dem wir einander fremd sind, sind wir uns auch selbst fremd und bleiben es, lautet ihre These. Für die Philosophin ein Schlüssel im Umgang mit dem Anderssein – und daher ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Dennoch sei dies keine Thesen-Ausstellung, wie Roland Mönig betont: „Man kann sie auch ohne Kristeva verstehen.“
Pablo Picasso, Oskar Kokoschka, Francis Bacon und Edvard Munch
Stimmt genau! Man möchte einfach nur schauen und schwelgen in Arbeiten, die sich lesen wie das Who-is-Who der Kunstgeschichte. Pablo Picasso, Oskar Kokoschka und Paula Modersohn-Becker, Henri de Toulouse-Lautrec und Edvard Munch. Vincent van Gogh, WOLS und Francis Bacon, der Schmerzensmann, der sich hier auf seine ganz eigene Weise inszenierte: Das Gesicht verschwommen, den Körper in eine Ecke gedrückt.
Sie ist halt nicht jedem gegeben, die große Pose. Und so hat Kuratorin Anna Storm auch feine Unterschiede gemacht und die Schau in fünf Themen-Räume unterteilt - von „Formen der Inszenierung“ über die Bereiche „Körpersprachen“ und „Der selbstbewusste Akt“ bis zu „Innerer Versunkenheit“ und „Intimität und Nähe“.
Einen Fixpunkt bilden sechs Fotoarbeiten der südafrikanischen binären Künstlerpersönlichkeit Zanele Muholi, die dem Museum als Dauerleihgaben zur Verfügung gestellt und jetzt in die Schau integriert wurden. Sie setzt sich in ihrem Heimatland für die Akzeptanz der verschiedenen sexuellen Identitäten ein und gilt als eine der einflussreichsten modernen Künstlerfiguren. Im Von der Heydt sind Selbstporträts und Paare zu sehen.
Maria und die dicke Marie
Der Blick fällt auf viele Gesichter. Auf Modersohn-Beckers wunderschöne Mädchenbildnisse oder auf Edvard Munchs „Mädchen mit rotkariertem Kleid und rotem Hut“ (1902/1903), eine zurückhaltende kleine Lady. Auf Aktdarstellungen, mal herausfordernd wie bei Henri de Toulouse-Lautrecs „Die dicke Marie“ (1884) – mal schüchtern wie bei Wilhelm Lehmbruck („Weibliches Brustbild und männlicher Kopf“, 1912).
Da sind Bilder des Innenlebens wie sie Miriam Cahn in ihrer Reihe Zeichnungen gekrümmter „American Woman“ (1981) schuf. Oder Tobias Zielony. Er setzte eine Frau namens „Maria“ auf einem Balkon in der Dunkelheit rauchend in Szene, die pure Melancholie (2016/2017). Und schließlich Max Beckmanns derangiertes „Selbstbildnis als Clown“ (1921), ein todernstes Porträt mit Tröte und Pritsche.
Ein Instagram-Museum in Amsterdam
Spielarten der Selbstwahrnehmung, gestern wie heute: Während die Kunstform des Porträts früher Menschen von gesellschaftlichem Stand vorbehalten war, können sich heute alle via Handy selbst in Szene setzen, gibt Roland Mönig am Ende zu bedenken. Die konsequente Fortsetzung befindet sich in Amsterdam, wo unlängst ein Instagram-Museum eröffnete.
In Wuppertal beginnt bald ein Workshop für das Zeichnen des eigenen Spiegelbilds. Immerhin mal eine andere Art von Selfie.
>>> Kooperation mit dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch <<<
Parallel zur Schau „Fremde sind wir uns selbst“ ist in einem Raum die Ausstellung „Senga Nengudi“ zu sehen – eine Kooperation mit dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch.
Die US-amerikanische Künstlerin Senga Nengudi studierte Tanz und Bildhauerei und verbindet in ihrem Werk Bewegung und Skulptur. Sie arbeitet als Bildhauerin, Installations-, Performance- und Videokünstlerin, aber auch als Fotografin, Malerin und Autorin. Präsentiert werden die Fotoarbeit „Performance Piece“ (1977/2022), eine Leihgabe aus dem Centre Pompidou, Paris und die R.S.V.P.-Skulpturen der Künstlerin, die sich ohne äußere Aktivierung bewegen.
im Rahmen der Ausstellung stehen Performances mit Tänzerinnen des Tanztheaters Wuppertal auf dem Programm. Die nächsten Termine: 25. September ( Julie Anne Stanzak) und 23. Oktober (Naomi Brito), Beginn jeweils um 15 Uhr.
Beide Ausstellungen sind bis zum 29. Januar zu sehen (Di.-So.,11-18 Uhr, Do.,11-20 Uhr. Der Katalog kostet 10 Euro. Alle Informationen stehen im Internet: www.von-der-heydt-museum.de