Essen. „We Want You“: Essens Museum Folkwang zeigt die umfangreichste Plakatschau in seiner Historie: Litfaßsäule und Marlboro-Mann dürfen nicht fehlen
„I want You! For U.S. Army“ Ausgerechnet Uncle Sams Rekrutierungsaufruf, von James Montgomery entworfen und in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg millionenfach gedruckt, zählt bis heute zu den meistverbreiteten Plakaten. Ein Fingerzeig, dass die bis heute allgegenwärtige Außenwerbung nicht nur dafür gedacht ist, um uns zum Kauf von Schokolade, Hautcreme oder Waschpulver zu verführen, sondern weit mehr Funktionen hat: als politische Mobilmachung, gesellschaftliche Aufklärungs-Kampagne, städtisches Kommunikationsmedium. Die große, bunte und vor allem lange Geschichte des Plakats präsentiert das Museum Folkwang nun in seiner zeitgeschichtlich bislang umfangreichsten Plakatschau, die von den Anfängen des Mediums bis in Gegenwart reicht. 200 Jahre Plakatgeschichte im Schnelldurchlauf, vom pittoresken Jugendstil-Motiv bis zur aktuellen Corona-Impfkampagne.
So viel bildstarke Botschaft war lange nicht: Mehr als 300 Arbeiten versammelt die Ausstellung dicht gehängt, von den ersten Vorläufern im 18. Jahrhundert, den Anschlagzetteln, Karikaturen und Illustrationen, die noch wild gekleistert wurden, bis zu den modernen City-Light-Postern. Wie die Werbung den Stadtraum erobert hat, analog und digital, ist ein Thema der Schau und prägt auch die Ausstellungsarchitektur mit eingebauten Zeitungskiosken, Litfaßsäulen und dem futuristisch anmutenden Prototyp einer Haltestelle, an der die Taktung der eingespielten Werbe-Bilder enger ist als die Ankunftszeit der Busse.
René Grohnert, der sich mit dieser grandiosen Übersichtsschau als langjähriger Leiter des Deutschen Plakatmuseums in den Ruhestand verabschiedet, hat den Parcours aus zigtausenden Exponaten ausgewählt. Dass sich die Essener Sammlung nicht auf einzelne Themen spezialisiert hat, sondern über Plakatkunst aus ganz unterschiedlichen Bereichen von der Kunst über Politik, Freizeit und Produktwerbung verfügt, macht diesen einzigartigen Exkurs durch Zeit und Raum nun möglich.
Er beginnt in Schwarzweiß, mit frühen Buchdrucken, Holzschnitten, Radierungen und zeigt, was technisch bald möglich wird. Mit dem Einzug des farblithografischen Verfahren wird die Plakatkunst auch in Deutschland bunter. 1896, sagt Grohnert, erlebt das Plakat in Deutschland seinen Durchbruch. Mit der Industrialisierung, dem rasanten Wachstum der Städte geht auch die Entwicklung des Plakats voran. Th. Th. Heine entwirft sein legendäres Plakat für die Zeitschrift Simplicissimus. Die angriffslustige rote Dogge zählt damals zu den radikalsten Entwürfen und gilt bis heute als eine von vielen Plakatkunst-Ikonen. Motive mit Wiedererkennungswert wie Toulouse-Lautrec, die Afri-Cola-Werbung von Charles Wilp oder der unverwüstliche „Marlboro Man“ .
Neben den Sammlungs-Highlights will die Ausstellung aber vor allem auch die Vielfalt des Mediums spiegeln. Die Auswahl reicht vom Fahndungsplakat nach „anarchistischen Gewalttätern“ 1976 bis zur 30er-Jahre-Kinowerbung für „Emil und die Detektive“, von Marcel Reich-Ranickis Telefonbuch-Marketing bis zu Oliviero Toscanis provokanter Werbekampagne für die Firma Benetton. Für manchen dürfte der Rundgang durch die Plakatschau dabei auch eine Begegnung mit der Markenwelt der Jugend sein, mit Pelikan, Salamander und Kaffee Hag. Es wird aber mitnichten immer nur für die gute Sache geworben. Das Plakat wird auch zum Mittel der Propaganda, trommelt für Kriege, die NS-Ideologie und die Frühform der „Fake News“. „Feind hört mit“ heißt es da im Zweiten Weltkrieg und die Tabak-Industrie darf ihre mittlerweile längst nicht mehr werbetauglichen Produkte in den 1960ern noch mit dem Hinweis „natur rein“ anpreisen.
Gleichwohl ist das Plakat für Museums-Chef Peter Gorschlüter „vielleicht das demokratischste aller künstlerisch gestalteten Medien“. Es erreicht fast jeden und ist zum Spiegel der Gesellschaft geworden. Was die Ausstellung dabei auch zeigt: Plakate sind nicht nur thematisch, sondern vor allem auch künstlerisch immer Kinder ihrer Zeit. So finden Expressionismus, Jugendstil und Neue Sachlichkeit im Laufe der Jahre auf Plakatwände und Litfaßsäulen.
Von der frühen Flugschrift bis zum mittlerweile per App animierten Plakat führt der Weg im Folkwang durch zehn Räume, streift immer auch wieder die Essener Stadtgeschichte von den Jazz-Tagen 1960, über die markante Gruga-Tulpe 1952 bis zur Grüne-Hauptstadt-Kampagne 65 Jahre später. Und wer will, kann die Plakatgeschichte selber fortschreiben. Publikumsvorschläge, wofür Plakate in Zukunft noch werben sollen, werden am Ausgang angenommen.
Informationen zur Ausstellung
Die Ausstellung „We Want You! Von den Anfängen des Plakats bis heute“ ist bis zum 28. August im Essener Museum Folkwang, Museumsplatz, zu sehen.
Eintritt: 8/erm. 5 Euro. Geöffnet: Sa/So/ Di/Mi 10-18 Uhr, Do/Fr 10-20 Uhr. Reich bebilderter Katalog (Steidl): 38 €.
Info zum Begleitprogramm und Zeitfenster unter www.museum-folkwang.de