Essen. Lütfiye Güzel, die Duisburger Dichterin harter Wahrheiten in schöner Sprache, wird in diesem Mai 50. Glückwünsche? Ach was, lieber mehr Leser!

In den letzten zehn Jahren hat sie zwei Dutzend Gedicht- und Prosabändchen veröffentlicht, 2017 wurde sie mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet – aber in Buchhandlungen sucht man die Bücher von Lütfiye Güzel meist vergeblich. Sie vertreibt sie im Selbstverlag „go-güzel-publishing“. Aufgewachsen ist sie in Marxloh; der Vater war Stahlarbeiter, die Mutter Hausfrau: „samstags geht mein vater arbeiten / während wir vor dem fernseher sitzen / manchmal werfen sie kartoffeln in den ofen / & spielen karten in arbeitskleidung / zur rente hat er einen fresskorb bekommen / jetzt kriegt er sozialhilfe“. Aus solchen Erfahrungen speist sich ein lakonisch-melancholischer Blick auf eine Region, die Weltkulturerbe und Krimi-Kulisse ist – und Heimat von fünf Millionen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.

Güzels Texte handeln vom Busfahren und Einkaufen, vom Schreiben und Lesen, vom Leben und Sterben, von Einsamkeit und Sehnsucht: „raus aus diesem land / will nicht undankbar sein / im vergleich ist es sicher / frei irgendwie / noch / kühlschränke & die möglichkeit / sie zu füllen / keine straßenkämpfe / noch nicht / umso erstaunlicher die angst / sie klebt fest / an der fensterscheibe im bus.“ Aktive Gegenwehr wird ironisch verworfen: „es ist an der Zeit / sich zu radikalisieren / dafür muss ich aber erst / einmal aufhören / die wollmäuse unter / dem bett / wegzufegen“.

Bei Lütfiye Güzel liegt unter der Alltags-Misere die Poesie

Wenn Widerstand an der eigenen Friedfertigkeit scheitert, bleibt die Sprache. Dass unterm Pflaster der Strand liege, hatte man einst in der Sponti-Szene gehofft. Bei Lütfiye Güzel gedeiht unter der Oberfläche der Alltags-Miseren die Poesie. Diese Tochter türkischer Eltern schreibt deutsche Texte – präzise und ohne ein überflüssiges Wort: Ruhrgebiets-Literatur des 21. Jahrhunderts. Harte Wahrheiten werden in genaue – also schöne – Sprache gekleidet, und gelegentlich erwächst daraus auf paradoxe Weise Trost: „ohne hoffnung hatte die angst keine chance.“ Krisenerfahrungen geraten zu funkelnden Sprachsplittern, symbolisch aufgeladene Begriffe werden geerdet. Optimismus klingt dann so: „unglücklich? / gemessen woran? / ich werde mich nicht länger vom unglück zwingen lassen / mich unglücklich zu fühlen / und gleiches gilt für das glück.“

Dem Minimalismus der Texte entspricht ihre Präsentation – in gebundenen Broschüren und getackerten Heftchen, auf losen Blättern in einer Butterbrot-Tüte oder auf Klebezetteln. Güzel inszeniert Autonomie nicht, sondern lebt sie mit allen Konsequenzen: „es ist nicht einfach / verrückt zu sein / & wenn man damit / kein geld verdient / dann ist es / um so schwieriger“. Sie organisiert Workshops für Kinder, ist gelegentlich im Rundfunk präsent oder bei Literaturfestivals, aber Verlagsverträge mag sie nicht unterschreiben. In diesem Monat wird sie fünfzig. Auf Glückwünsche legt sie keinen Wert, aber gegen neue Leserinnen und Leser hätte sie bestimmt nichts einzuwenden.