Gladbeck. Intendantin Barbara Frey eröffnet ihre erste Ruhrtriennale-Saison mit einem dicht orchestrierten Gespensterstück in der Maschinenhalle Zweckel.
Es ist nicht so, als ob die einstige „elektrische Centrale“ der Zeche Zweckel auf den ersten Blick so viel gemeinsam hätte mit den „unwirtlichen Mauern“, den „blicklosen Fensteraugen“ oder gar den „geilen Binsenbüscheln“ des untergangsgeweihten Hauses Usher von Edgar Allan Poe. Das Maschinenhaus von 1909, ein Backsteinschlösschen im Jugendstil, aus dem die ganze Zeche und halb Gladbeck mit Strom versorgt wurde, das Frischluft in die Schächte unter Tage brachte, ist ja nicht untergegangen, sondern mindestens für Jahrzehnte ertüchtigt und haltbar gemacht worden.
Statt von Dampf, Lärm und Ruß ist die einstige Maschinenherzkammer heute von Messen, Ausstellungen und Hochzeitszeremonien erfüllt. Und dann und wann auch von einer Ruhrtriennale-Eröffnung wie die am Samstag, mit einem stimmungsvollen Sonnenaufgangskonzert samt Frühstück im Freien und einem abendlichen Grusel-Musiktheater, dessen Klang- und Denkbilder noch eine ganze Weile nachhallen.
Eine Nervenprobe zum Auftakt
Aber bis uns Triennale-Intendantin Barbara Frey mit jener „unerträglichen Melancholie“ aus dem „Fall des Hauses Usher“ konfrontiert, ist zunächst einmal eine Nervenprobe, eine Einstimmung der anderen Art zu überstehen: Zwei Musiker hämmern stakkatohaft in die Tasten zweier Konzertflügel, ganz im Stil der Minimal Music, mit kleinen Verschiebungen der Akkorde, mal die Klaviatur rauf, mal runter. Siebzehn Minuten lang. Der Rhythmus der punktierten Noten wirkt wie ein Echo auf den Maschinentakt, der hier schon lange nicht mehr erklingt (Musik: Barbara Frey/Josh Sneesby). Keine Ouvertüre, eher ein Herunterholen aus dem Getriebe des täglichen Tags, eine Einstimmung per Engführung des Wahrnehmungshorizonts. Dass dabei zufällig auch zwei hauseigene Fledermäuse aufgeschreckt werden, passt bei aller Flatterhaftigkeit doch zur gespensterträchtigen Atmosphäre der beiden folgenden Stunden.
Die sechs Männer und Frauen beginnen irgendwann, nachdem ein eingespielter Autostraßenlärm verklungen ist, Poes Text wechselweise auf Deutsch, Englisch und Ungarisch zu rezitieren, zu deklamieren und auch zu verkörpern. Sie sind in Anzüge gekleidet (Kostüm: Esther Geremus) und wandern herum um die Maschinenkulisse in der Mitte, zwischen wahllos abgestellten Stühlen und Bücherstapeln (Bühne: Martin Zehetgruber/Stefanie Wagner).
Ein Rollator-Geschwader schlägt einen wackeligen Bogen in die Gegenwart
Sie blicken, fein choreografiert, auch hinaus aus den riesigen Rundbogenfenstern. Wir sehen hingegen nur die Bretter, mit denen sie so grob vernagelt sind, dass gespenstische Lichtbänder streifenweise hindurchfallen, erst aus der abendlichen Dämmerung, dann aus gleißenden Scheinwerfern. Licht von außen, das klarer sehen lässt. Besser hören. Und Nerven spüren. Später werden sie als graues Rollator-Geschwader einen wackeligen Bogen in die Gegenwart schlagen.
Die Wiener Burg-Schauspielgrößen Jan Bülow („Lindenberg!“ im Kino), Katharina Lorenz, Annamária Láng, Michael Maertens und Markus Scheumann sowie Debbie Korley von der Royal Shakespeare Company akzentuieren Poes Text allerdings in Bilderbuchstärke; beinah jede Silbe trägt eine Bedeutung noch jenseits des lexikalischen Wortsinns.
Es endet mit Pink Floyd auf der dunklen Seite des Mondes
Barbara Frey spürt mit Poes Sätzen dem Verdrängten des stillgelegten, zivilisierten, zur Kulisse verharmlosten Industrieraums nach, der entmenschlichten Barbarei, dem Ungeheuren des Schürfens in ungeahnten Tiefen. Sie hat in das „Haus Usher“ noch ebenso assoziativ wie schlüssig Bilder aus vier weiteren Erzählungen des feinnervigen Seelenforschungsreisenden Poe hineinverwoben („Das Feenland“, „Die Grube und das Pendel“, „Berenice“, „Die Morde in der Rue Morgue“) – und einige konzertant anverwandelte Rock-Songs von den Doors, den Young Gods oder Timber Timbre, unter sorgfältiger Umgehung des Poe-Konzeptalbums „Tales of Mystery an Imagination“ von Alan Parsons. Dieser Poe-Pop-Pate kommt nur indirekt vor, er war ja der Produzent des Pink-Floyd-Albums „The Dark Side of The Moon“, dessen Titelsong kurz vor Schluss von Solisten des Ruhrkohle-Chors angestimmt wird, während er aus den Tiefen der Schächte aufsteigt. Und nur selten war die Finsternis hier so finster wie nach dem Schlussakkord. Umso heller die Mienen aller Beteiligten nach dem langen, langen Premierenbeifall.
„Der Untergang des Hauses Usher“. Koproduktion der Ruhrtriennale mit dem Wiener Burgtheater. Maschinenhalle Zweckel, Gladbeck (Frentroper Straße). 2 Stunden. Termine: 17., 19., 20., 21. und 22. August, Beginn jeweils 20:30 Uhr.