Gladbeck. Nach 20 Jahren hat es doch geklappt: Gladbeck ist Teil der legendären Bibliotheken-Serie von Candida Höfer – eine Ausstellung der Neuen Galerie.
Vor gut 20 Jahren war Candida Höfer, als recht bekannte Fotografin, schon einmal in Gladbeck. Doch die damaligen Räume der Städtischen Galerie schienen ihr ungeeignet für eine Ausstellung ihrer Riesen-Fotografien. Ausgerechnet jetzt aber, da Candida Höfer als Künstlerin Weltgeltung erlangt hat, klappt es doch noch mit einer Ausstellung in Gladbeck. Was nicht zuletzt am Ort der Ausstellung liegt, aber auch an Gerd Weggel, dem schier unermüdlichen Motor des Ausstellungshauses. Die nackten Betonwände der 2009 eröffneten Neuen Galerie verschaffen Höfers XXL-Aufnahmen von Bibliotheken in aller Welt einen denkbar passenden, weil kontrastierenden Rahmen (einmal abgesehen davon, dass die ungewöhnlich tief, aber exzellent gehängten Bilder selbst auch einen recht edlen Rahmen für einen fast vierstelligen Betrag pro Stück bekommen haben).
Es sind neun Fotografien zu sehen, und bis auf eine entstanden sie alle nach Candida Höfers legendärem „Bibliotheken“-Band des Jahres 2005 mit dem Essay von Umberto Eco. Darin enthalten ist lediglich die Aufnahme aus der größten portugiesischsprachigen Bücherei der Welt, dem „Real Gabinete Português de Leitura“ (350.000 Werke) in Rio de Janeiro. Es ist die imposanteste Fotografie, abertausende Buchrücken an Buchrücken, unterbrochen von zwei Emporen, gekrönt von hoch aufragenden neogotischen Zier-Türmchen und Schnitzereien.
Lesesaal der Sorbonne, „Indien-Archiv“ in Sevilla
Menschen sind, wie meistens bei Candida Höfer, nur in Spuren vorhanden. Zwei krümelige Computerarbeitsplätze hinter Viererreihen von Arbeitspulten, nach denen sich Antiquare die Finger lecken würden. Und selbst zwei dezente Feuerlöscher, die beinahe als Buchrücken durchgehen könnten, sind symmetrisch verteilt wie die Gesamtstruktur. Eine ganz eigene Mischung aus Nüchternheit und glanzvoller Weihe, wie sie in dem allzu oft gedankenlos verwendeten Wort vom Büchertempel aufscheint – hier wird man kein treffenderes finden.
Und wer allein dieses fotografische Wunderwerk bis in seine Details auskostet, wird fast froh sein, dass in Gladbeck nicht Dutzende von Höfer-Fotos ausgestellt sind. Denn auch der Lesesaal der Sorbonne-Bibliothek in Paris, die geradezu metropolitanen Bücherreihen des spanischen Zisterzienserklosters von Oseira im galizischen Nirgendwo, die Bibliothek im portugiesischen Welterbe-Nationalpalast von Mafra: Sie alle sind grandios ins Bild gesetzt, mit staunenmachender Behandlung des natürlichen Lichts (ganz in der Tradition von Bernd und Hilla Becher). Die Aufnahme im „Indien-Archiv“ von Sevilla mit Dokumenten der Kolonialzeit durchbricht mit ihrem Blick in zwei rechtwinklig aufeinander stoßende Gänge die Reihe der zentralperspektivischen Fluchtpunkte – was ja auch mit den zwiespältigen Inhalten des Archivs zu tun haben könnte...
Auch Büchereien haben ihre Schicksale – der Fall Neapel
Und nicht nur Bücher, auch Bibliotheken haben ihre Schicksale. Wobei die Klosterbibliothek Statale Oratoriana del Monumento Nazionale dei Girolamini in Neapel (170.000 Titel) deutlich mehr gebeutelt wurde als andere: Erst machte 1980 ein Erdbeben eine jahrzehntelange Restaurierung nötig, dann stellte sich heraus, dass die Bibliothek von ihrem Chef (einem Hochstapler, inzwischen rechtskräftig verurteilt) um Hunderte von wertvollen Bänden bestohlen wurde. Seither war dieser Bücherhort nur an einem einzigen Tag im Jahr 2015 – als symbolisches Versprechen, dass man die Zustände ändern will – für die Öffentlichkeit zugänglich.
Der Clou der Ausstellung aber wartet im Seitenraum der Galerie, der in den 50er-Jahren als Lesesaal der damals in Gladbeck neu gebauten Freihand-Bibliothek diente (die so erfolgreich war, dass man eine viel größere in den 70er-Jahren im Kulturzentrum der Stadt einrichtete). Candida Höfer hat das abstrakte Buntglas-Fenster dieser ehemaligen Bibliothek fotografiert – und nun hängt das Bild dem fotografierten Objekt gegenüber (am schönsten übrigens in den frühen Abendstunden, wenn durch das fotografierte Fenster die letzten Sonnenstrahlen fallen). Deshalb hat die Ausstellung, etwas kapriziös, den Titel „Libraries: The Return“ – aber der Doppelsinn von „Return“ (Wiederkehr und Antwort) war eben nur im Englischen zu haben.
Kombiniert ist die Aufnahme „Neue Galerie Gladbeck I“ mit einer Außen-Aufnahme eines Gebäude-Details vom Übergang zwischen 50er-Jahre-Altbau und der Neuen Galerie. Knallhart im Detail, aber wuchtig-harmonisch in der Wirkung. Gladbeck, irgendwo zwischen Rio und Neapel.
Bis 30. Oktober; Katalog, dank der Krupp-Stiftung: 12 Euro.