Oberhausen.
Was Rudolf Holtappel, 1923 in Münster geboren und dort auch zum Fotografen ausgebildet, von vielen Kollegen seiner Zeit unterscheidet, ist sein Humor. Und seine unbedingte Liebe zu den
Menschen, ja zum Menschlichen, Allzumenschlichen überhaupt. Selbst wenn man lächeln muss über seine Fotos, wenn sie rechts eine Dame in mehr als knappen Hot Pants und ihren langmähnigen Begleiter von hinten zeigen und links die Türkin mit Kopftuch und gestreng dreinblickendem Ehemann, wenn die ältere Dame auf der Bank in eine Wurst beißt und ihr Gemahl an der Zigarette saugt oder die sichtlich wohlstandsgenährte Kundin skeptisch die Schlussverkaufsangebote mustert: Diese Bilder fühlen mit den Menschen genauso wie sie ihre Komik freiliegen.
Man merkt, dass Holtappel die schöne Frau mochte, die da im Spiegel den neuen Hut prüft, oder den Koch in der Werkskantine von Henkel, der aus dem großen Bottich ein kleines Häppchen einer intensiven Geschmacksprobe zuführt, unter den angespannten Blicken einer Küchenfrau. Er mochte die Models, die er in Paris auf regennassem Pflaster ins allerbeste Licht rückte, und er wusste sogar Schaufensterpuppen so zu fotografieren, dass man den Menschen in der Puppe zu sehen glaubt. Die Zuneigung zu Menschen ließ ihn nirgendwo so gern auf den Auslöser drücken wie im Kaufhaus und in der Fußgängerzone.
Piccobello herausgeputzte Sonntagsspaziergänger
Rudolf Hermann Holtappel, der nach dem Krieg zunächst in Duisburg, dann in Oberhausen wohnte, hat das Revier, als der Pott noch kochte, gewiss am intensivsten mit seiner Kleinbildkamera begleitet. „Ich fotografiere nichts für die Wand“, hat er der WAZ gesagt, „ich mache Aufmacherbilder!“ – aber nun bekommt der 2013 gestorbene Rudolf Holtappel doch seine erste große Museums-Retrospektive, in der Oberhausener Ludwiggalerie. Hier lagert durch einen Ankauf der Stadt seit 2017 Holtappels Nachlass mit 360.000 Negativen nebst 1000 Abzügen und Dias.
Zur Ausstellung
Rudolf Holtappel. Die Zukunft hat schon begonnen. Ruhrgebietschronist, Theaterdokumentarist, Warenhausfotograf. Eine fotografische Werkschau 1950-2013. Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Konrad-Adenauer-Allee 46, bis 6. September.
Geöffnet: Di-So 11-18 Uhr, Ein-tritt: 8 €, erm. 4 €, Familien 12 €. Katalog: Kettler Verlag, 29,80 €.
Da sind die nostalgieseligen Blagen- und Koloniebären-Bilder, mit denen Holtappel in den Nuller-Jahren noch einmal Kalender-Karriere machte; da sind die piccobello herausgeputzten Spaziergänger vor der rußig-gewaltigen Industriekulisse, wie er sie gern fotografiert hat und bei den „Gastarbeitern“ auf geradezu poetische Weise eingefangen, weil die jungen Männer beschwingt und unternehmungslustig an diesem Sonntag erleben, wofür sie eigentlich ins Ruhrgebiet gekommen waren, während im Hintergrund die Kulissen ihres Arbeitsalltags weiter vor sich hin rußen und qualmen.
16 Fotobände über Duisburg, Krefeld, Gelsenkirchen und natürlich Oberhausen
Holtappel war mit Fotobänden als Stadtporträt ins Geschäft gekommen, 16 an der Zahl. Duisburg fotografierte er zunächst (mit einer Altstadt, die vor allem aus Lücken zwischen halbmittelalterlichen Hucken bestand), Dinslaken auch, Krefeld, Gelsenkirchen – und Oberhausen gleich in drei Bänden, meist für den Duisburger Carl-Lange-Verlag (heute Mercator). Es folgten Aufträge der Industrie, die Holtappel imposant in Szene zu setzen wusste, ohne zu verheimlichen, dass diese Giganten jedes menschliche Maß überschritten.
Werbe- und Werksfotograf bei Karstadt und Henkel
Er heuerte für Werbe- und Werkszeitschriftenbilder bei Karstadt (1964-1995) und bei Henkel an (1972-2002), aber die Bilder die hier entstehen und in der Ludwiggalerie teils zum ersten Mal öffentlich gezeigt werden, kommen über Standard und Durchschnitt nicht hinaus. Wie Holtappel überhaupt lange brauchte, um mit Farbfotografie halbwegs zurechtzukommen, in der er erst sehr spät eigene Ausdrucksformen entwickelte. Nicht von ungefähr sind selbst die hochintensiven, völlig klischeefreien Taubenschlag-Bilder von 2005 in Schwarzweiß.
Auch seine Porträts haben eher Standardniveau, wenn auch Oberhausens Theaterintendant Günter Büch (der die ersten Handke-Stücke zur Uraufführung brachte) so durchdringend wie vielsagend abgelichtet ist. Aber Holtappels Theaterfotos waren eine Klasse für sich, er sah entweder als grafische Landschaft – oder erwischte den Moment höchsten Ausdrucks, größter Dynamik. So war er nicht nur unter Büch 1961-70, sondern noch einmal unter dem grandiosen Klaus Weise von 1993 bis 2002 Chronist der Oberhausener Bühne zu ihren größten Zeiten. Und doch hat dieser Fotograf nie aufgehört, sich weiterzuentwickeln. Dies- und jenseits der Jahrtausendwende entdeckte er die Edeldruck-Fotografie für sich – und schuf, auch das ist in Oberhausen zu sehen, begnadet schön blauschimmernde Cyanotypien (nach ersten Versuchen schon in den 60ern), die man sich auf keinen Fall entgehen lassen soll, auch wenn sie im Oberhausener Schloss im Dachgeschoss hängen.
Finanzierung des Landschaftsverbands Rheinland
Die Ausstellung ist die Frucht von zwei Jahren Arbeit mit diesem Nachlass; die Fotokünstlerin Miriam Hüning hat dafür eine Stelle vom Landschaftsverband Rheinland finanziert bekommen, die jetzt noch einmal um zwei weitere Jahre verlängert worden ist angesichts der Fülle des Materials. Rudolf Holtappel wusste, was er wollte, was er abbilden wollte, deshalb haben fast alle seine Abzüge neben dem Stempel auf der Rückseite auch - oft mit Bleistift notierte - Titel. So stammt denn auch der Titel dieser ersten großen Werkschau von ihm selbst. Er nannte ein Zufallsbild so, das er auf einem Bauernhof schoss: An einer Leine hängen fünf gerupfte, eher magere Gänse, und darunter stolziert ein Huhn durch die Gegend, als wüsste es von nichts. Holtappels Kommentar: „Die Zukunft hat schon begonnen“.