Essen. Der Essener Germanist und Krimi-Spezialist Jochen Vogt kombiniert 13 Essays und Vorträge zu einem Sammelband, der das Zeug zum Standardwerk hat.
Jahrzehntelang hat Jochen Vogt in Essen Deutschlehrer und Germanisten ausgebildet, er gehörte zu den Pionieren der als Gesamthochschule gegründeten Universität. Vogts bescheiden betitelter Band „Aspekte erzählender Prosa“ zählt in mittlerweile zweistelliger Auflage zu den Standardwerken der Forschung; seine Beliebtheit unter Studenten dürfte bei aller sachlichen Fundierung nicht zuletzt aus der klaren, nie wissenschaftlicher als nötig daherkommenden Sprache rühren.
Die wahre Leidenschaft des Brecht- und Peter-Weiss-Experten und emeritierten Professors Jochen Vogt (76) aber gilt dem unter klassischen Akademikern immer noch etwas übel beleumundeten Krimi – und wir sind nicht wenig stolz darauf, unseren Lesern an dieser Stelle allmonatlich eine Buchvorstellung aus der Feder des „Krimivogts“ präsentieren zu können. Umso neugieriger haben wir uns auf ein Buch gestürzt, das mit seinem wiederum sehr unangeberischen Untertitel „13 Versuche zum Kriminalroman“ ankündigt. Und werden den Verdacht nicht los, dass „Schema und Variation“ zu einem neuen Standardwerk avancieren könnte.
Edgar Allan Poe, Schiller und Ferdinand von Schirach
Vogt hat in „Schema und Variation“ Essays versammelt, die in Zeitungen, Sammelbänden und Lexika verstreut gedruckt wurden und um einige weiter ausgearbeitete Vorträge ergänzt. So entsteht Seite um Seite eine kleine Geschichte des Genres von den Anfängen mit Schillers „Verbrecher aus verlorener Ehre“ und Edgar Allan Poes „Doppelmord in der Rue Morgue“ bis zum „Tatort“ von heute. Vogts Tugend, nonchalant über nationale, literarische und wissenschaftliche Grenzen hinwegzudenken, versammelt so eine Vielzahl von Aspekten krimineller Prosa; bei aller Anstrengung des Begriffs aber bleibt der Ton des Theoretikers ein erzählender, zuweilen gar angenehm plaudernder.
Schlüssig und literarhistorisch überaus fundiert skizziert Vogt eine Theorie des Kriminalromans als „alternativer“ oder „mittlerer“ Literatur, die nach der Etablierung als Massen-Genre durch den gelangweilten Augenarzt Arthur Conan Doyle, Agatha Christie und Gilbert Chesterton eine fortschreitende Ausdifferenzierung erfahren hat. So wie es schon die titelgebende Einschätzung des krimisüchtigen Bertolt Brecht beschrieb, der Kriminalroman habe ein Schema und zeige seine Kraft in der Variation. Dass dazu auch ein Kunst-Anspruch gehören kann, meldet niemand geringerer als Raymond Chandler an; ihm gelang es ja in der Tat nicht selten, durch unablässige, effektvolle und hellsichtige Arbeit an der Sprache, dass sie hochpräzise und gleichsam zu einer Gegenwelt zu den Gegenständen seiner Romane wurde, wie ein Schutzschild gegen all die Korruption, moralische Verkommenheit und Ungerechtigkeit.
Debatten über Wert und Unwert des Krimis
Jochen Vogt beschreibt die Wandlungen der Detektiv-Figur im Laufe der Jahrzehnte, er verfolgt die Entwicklung von Fall-Geschichten von der Aufklärung bis zu Ferdinand von Schirach und den Streit um Wert oder Unwert des Krimis, wie er sich mit Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem im angloamerikanischen Raum entwickelte. Die eine oder andere Wiederholung in diesem Band hat den angenehmen Effekt, dass sich Wichtiges zur Geschichte des Genres leicht im Gedächtnis festsetzt. Der zweiten Auflage wünschen wir aber ein Personen- und Sachregister, wie es bei Standardwerken Standard ist.
Jochen Vogt: Schema und Variation. 13 Versuche zum Kriminalroman. Wehrhahn Verlag, 373 S., 29,50 Euro.