Essen. Die Werke von Nicci French sind seit Jahrzehnten nicht aus der Krimi-Szene wegzudenken. Nun gibt’s einen neuen Fall des britischen Autoren-Duos.
Unter dem Logo „Nicci French“ hat das britische Ehepaar Nicci Gerrard und Sean French seit den späten 90er Jahren einen Spitzenplatz in der internationalen Krimiszene erobert (aber bitte nicht mit ihrer großartigen irischen Kollegin Tana French verwechseln!).
Ihren Ruf und Erfolg – besonders bei der weiblichen Leserschaft – verdanken sie zwanzig umfangreichen „Standalones“, wie das inzwischen auch im Buchhandelsdeutsch heißen. Vor allem aber einer Serie von schwankender Qualität, deren Einzeltitel den sieben Wochentagen (und dem „Tag danach“) folgen. Darin löst die Psychotherapeutin Frieda Klein mal mit der Londoner Kriminalpolizei, mal in kollegialer Konkurrenz, die verwickeltsten Mordfälle, wobei neben der fachlichen Kompetenz auch ihre eigenen psychischen Probleme eine wichtige Rolle spielen.
Nicci French ist zurück, aber die Heldin Frieda Klein ist im Ruhestand
Inzwischen scheint sie allerdings in den (zeitweiligen?) Ruhestand versetzt zu sein. Aber auch jetzt lobt die britische Presse „die Frenchs“ als Spezialisten „für Spannung, Handlung und die Psychologie gestresster Heldinnen“. In diesem Fall betrifft dies Neve, eine berufstätige Hausfrau mittleren Alters in London, mit erfolglosem Künstlergatten und drei Kindern mit alters-typischen Problemen. Und als Vertrauensperson und Ratgeberin aller Freundinnen und Freunde von Jugend an muss Neve auch noch herhalten.
hr folgen wir nun 450 lange Seiten hindurch, auf denen sie zunächst Zeugin, dann Verdächtige in einem brutalen Mordfall wird und schließlich nur knapp dem tatsächlichen Täter entgeht. Und warum? Weil sie sich – ganz untypisch – auf eine eher oberflächliche Affäre mit dem attraktiven Chef eingelassen hat, den sie bei Romanbeginn allerdings nur noch tot, als Opfer des erwähnten Überfalls vorfindet.
Der Krimi „Was sie nicht wusste“ ist kein kühnes Experiment, aber handwerklich auf hohem Niveau
Die psychologische Spannung entwickelt sich dann, immer ganz nah an der Hauptfigur, ihren Gefühlen und Ängsten, aus dem krampfhaften Versuch, ihren „Seitensprung“ und seine fatalen Folgen zu verschweigen und zu verleugnen. Und zwar nicht nur vor ihrer Familie oder dem sympathischen, aber zunehmend misstrauischen Detective Inspector, sondern auch vor eben jener Clique aus vergangenen „wilden“ Zeiten (gemeint sind die 1970er), die nun verschiedene Spielarten von „midlife crisis“ durchlebt. Dabei verstrickt sich Neve, wie zu erwarten, in ein immer dichteres Gespinst von Lügen; ob und wie sie das schließlich abstreifen oder zerreißen kann, soll hier noch nicht verraten werden.
Die treue Leserschaft von Nicci French kann sich über Nachschub freuen
Alles in allem liefert die Firma French weiterhin Krimiunterhaltung auf höchstem handwerklichen Niveau, wenn auch ohne den experimentellen Ehrgeiz vieler Konkurrenten. Dass ihre treue Leserschaft sich über den Nachschub freut, ist sicher. Und alle anderen können jetzt auf bequeme und spannende Weise testen, ob sie sich ihr künftig anschließen wollen.
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Nicci French: Was sie nicht wusste. Kriminalroman, C. Bertelsmann Verlag, 448 S., 16 €