Witten. . Professor Tobias Esch aus Witten hat mit Eckart von Hirschhausen ein Buch geschrieben. Darin erklärt er, warum das Alter besser ist als sein Ruf.

Auch wenn die Knochen knacken: Das Alter ist viel besser als sein Ruf, behauptet der Wittener Neurobiologe Prof. Tobias Esch. Zusammen mit Deutschlands bekanntestem TV-Arzt Dr. Eckart von Hirschhausen erklärt er im WAZ-Interview, warum das große Glück noch auf uns wartet.

Hirschhausen und Esch zusammen – was erwartet die Leser da? Wissenschaft mit Witz?

Esch: Ja unbedingt, wir hatten schon sehr viel Spaß beim Schreiben. Meine Familie meint, das Buch zu lesen sei, als würde man heimlich ein Gespräch unter Freunden belauschen. Am Anfang war Eckart mehr in der Rolle des Fragers, ich des Erklärers. Und er hat alles ein wenig aufgelockert. Aber im Laufe der Arbeit hat sich das gedreht… Und wir haben beide gemerkt, dass das Thema auch ganz viel mit uns zu tun hat. Eigentlich ist es ein Buch über uns.

In dem Buch stellen Sie die These auf, die zweite Lebenshälfte sei die bessere. Eine kühne Behauptung...

Hirschhausen: Und eine gute Nachricht! Wenn uns in der Mitte des Lebens die Puste ausgeht, weil wir im Job performen müssen, weil wir kleine Kinder und alte Eltern haben, dann können wir sagen: Das ist nur eine Phase und die geht vorbei. Da kommt noch viel, auf das wir uns freuen können.

Esch: Das kann unseren Blick aufs Älterwerden komplett verändern. Aber es ist mehr als eine These. Sie basiert auf harten Daten. Mit unserem neurowissenschaftlichen Team an der New York State University haben wir in Studien beschrieben, dass das Glück eines 20-Jährigen ein anderes ist als das eines 60-Jährigen. Wir haben ein Modell des Glücks geschaffen, das drei Phasen nennt: das jugendliche Hochmoment-Glück, das Glück der Erleichterung, wenn etwa Schmerz oder Stress eine Pause machen, und schließlich das Glück der Zufriedenheit.Und jetzt wird es spannend: Wir haben dieses Glücksmodell in den zeitlichen Zusammenhang mit den Lebensphasen gebracht.

Wie das?

Esch: Wir konnten einen Bezug der verschiedenen Glücksformen zu unserem Belohnungssystem im Gehirn und den daran beteiligten Botenstoffen herstellen. Ich dachte: Wenn das stimmt mit den Glücksphasen und den beschriebenen Bausteinen von Glück und Zufriedenheit, dann müsste sich das in Untersuchungen an größeren Studienpopulationen – also bei den Menschen da draußen, nicht nur im Labor – wiederfinden lassen. Wir haben uns darauf unter anderem den riesigen Datensatz der „Nurses Health Study“, die seit über 40 Jahren läuft, genauer angeguckt, hinsichtlich der Lebensqualität und Zufriedenheit. Und hatten dann ein echtes Aha-Erlebnis. Es zeigte sich: Das psychisch-mentale Wohlbefinden steigt über die Lebenszeit, während die körperliche Gesundheit nachlässt.

Vielleicht werden ja nur die Erwartungen bescheidener und die Resignation größer?

Esch:Möglich. Zufriedenheit hat schließlich auch etwas mit Erwartungsmanagement zu tun. Und das bekommt der besser hin, der schon etwas erlebt hat in seinem Leben. Das Überraschende aber ist: Das Glück des Alters ist zwar angepasst an die Möglichkeiten – aber es liegt dennoch auf einem höheren Level als zuvor. Da muss mehr dahinter stecken. Alte Menschen können bestimmte Dinge besser als die Jüngeren, das Erkennen von größeren Zusammenhängen beispielsweise, manche nennen das Weisheit. Sie sind also nicht einfach nur akzeptierende, sich ins Schicksal ergebende ehemals junge Menschen.

Vielleicht sind die Alten in Ihren Studien deswegen zufriedener, weil die Unglücklichen vorher schon gestorben sind?

Esch: Nein, auch das haben wir und andere untersucht. Die Daten bleiben robust. Und übrigens sterben auch Zufriedene manchmal früh.

Aber bevor wir das Glück des Alters erreichen, müssen wir durch das „Tal der Tränen“?

Hirschhausen: Oder Rush Hour des Lebens, wie wir es lieber nennen...

Esch: Ja, das Glück verläuft wie eine U-Kurve, eine Hängebrücke. In der Lebensmitte ist der Tiefpunkt. Beruf und Familie unter einen Hut bringen, die Kinder versorgen, sich vielleicht um die Eltern kümmern – das macht Stress. Da ist dann schon Glück, wenn ich abends auf dem Sofa die Schuhe ausziehen kann. Da müssen wir durch, den Tiefpunkt haben wir bei uns in Deutschland statistisch so zwischen 45 bis 50 erreicht. Dann geht es wieder bergauf. Und zwar höher, als es vorher jemals war. Das heißt: Die meisten Menschen sind mit 77 besser drauf als mit 17 oder mit 47.

Aber was ist mit den nörgelnden Alten, die gibt es doch auch?

Hirschhausen: Die gibt es, und leider sind sie lauter und verfälschen unser Bild vom Altwerden. An den leisen, den Zufriedenen sollten wir uns orientieren. Suchen Sie sich Vorbilder! Ich habe schon immer gerne auf die Erfahrung älterer Menschen gehört. Und es gibt so viele, die wir bewundern können für ihre Leistungen im hohen Alter. Unsere Mütter zum Beispiel, das sind Vorbilder für uns. In dem Buch sprechen wir mit Nobelpreisträgern bis zu Querschnittsgelähmten, was deren „Überlebenstipps“ sind. Es sind Dinge wie Neugier, Dankbarkeit und Sinn – nichts, was sich kaufen lässt, und dennoch mit das Wichtigste im Leben.

Esch: Und sie sind nicht in der Mehrheit: Die Chancen im Alter glücklich und zufrieden zu sein, liegen bei 80 bis 90 Prozent. Und das Erstaunliche ist: Diese Zahlen bleiben über die Jahre stabil – es sind bei 60-Jährigen annähernd die gleichen wie bei 90-Jährigen.

Auch als E-Book oder Hörbuch zu haben

Das Buch „Die bessere Hälfte: Worauf wir uns mitten im Leben freuen können“ von Dr. Eckart von Hirschhausen und Prof. Dr. Tobias Esch ist in der vergangenen Woche im Rowohlt Verlag erschienen.

Die gebundene Ausgabe kostet 18 Euro, das E-Book 15,99, das Hörbuch ist für 11,95 Euro zu haben.

Was ist mit den übrigen 20 Prozent?

Esch: Da gibt es verschiedene Ursachen. Vereinsamung, Verlassensein und Schmerzen können zu einer Altersdepression führen. Demenz- und Krebserkrankungen nehmen im Alter ebenfalls zu. Überhaupt: Chronischer Schmerz ist schon für sich eine arge Beeinträchtigung, da wird es mit der Zufriedenheit schwierig.
Hirschhausen: Wir wollen auch gar nicht beschönigen, dass viele Menschen Angst vor dem Alter haben. Aber Angst ist die falsche Antwort. Was die richtige Antwort wäre, ist ein guter Lebensstil und alles weglassen, was das Leben verkürzt. In meinem Bühnenprogramm „Endlich!“ bringe ich es ganz einfach auf den Punkt: 15 Jahre unseres Lebens hängen am Lebensstil. Es gibt keine Tablette, keine Operation und erst recht keine Creme, die uns besser schützen als fünf ganz einfache Dinge des Alltags: nicht rauchen, bewegen, Gemüse – erwachsen werden und Kind bleiben. Wen die Langfassung interessiert, Sie sind herzlich eingeladen in mein Programm zu kommen!

Was kann ich noch tun, damit ich zu den anderen 80 Prozent gehöre?

Esch: Ein gutes soziales Netz pflegen – und damit meine ich nicht Facebook. Sich mit Älteren umgeben, von ihnen lernen, erkennen, wo sie Vorbilder sein können. Glaube oder Spiritualität helfen offenbar auch – der Gedanke, Teil eines größeren Ganzen zu sein, Teil eines Kreislaufs oder der Natur. Aber auch regelmäßige Bewegung ist sehr förderlich für die Zufriedenheit. Und das Älterwerden an sich hilft – wer älter wird, wird zufriedener! Sofern er oder sie vorher nicht aus der Bahn gerät, aus der Kurve fliegt. Darauf gilt es zu achten. An der Stelle kann auch Hilfe von außen mitunter angezeigt sein.
Hirschhausen: Jetzt hast du ja schon alle Tipps verraten und für mich bleibt nur die Gartenarbeit...

Kind bleiben – das ist ganz wichtig.
Kind bleiben – das ist ganz wichtig. © Rowohlt

Wieso Gartenarbeit?

Hirschhausen: Ja, Gartenarbeit ist ein schönes Bild für die Freude im Alter. Man ist aktiv, bewegt sich an der frischen Luft, sieht etwas wachsen, ist weder über- noch unterfordert und das Wichtigste: Man ist eigentlich nie damit fertig.

Sie sagen, angesichts dieser Erkenntnisse müssten auch die Mediziner umdenken. Ihre Bedeutung werde im Alltag überschätzt...

Esch:Wir müssen anerkennen, dass sich das Glück der Menschen über die Lebenszeit offenbar von der körperlichen Gesundheit emanzipiert. Zufriedenheit ist ein eher innerlicher Zustand, der weniger vom Arzt oder der rein körperlichen Unversehrtheit abzuhängen scheint. Behandeln sollte öfter heißen: Hände auch mal weg, nur so viel Medizin wie nötig! Wir müssen einsehen: Im Alter lässt sich nicht mehr alles heilen. Dafür aber vieles lindern. Wir als Ärzte sollten den Menschen öfter als Ratgeber zur Seite stehen, ihnen helfen, in der Bahn zu bleiben.

So wollen Sie auch in Ihrer Hochschulambulanz arbeiten, die an der Uni eingerichtet werden soll?

Esch: Ja, wir wollen mit einem multiprofessionellen Team – nicht nur mit Ärzten – den Patienten in die Mitte rücken. Ihn aktivieren – mit Medizin, Yoga und Bewegung. Übrigens nicht nur Privatpatienten… Wir sind da in der Planung gerade auf der Zielgeraden, ich hoffe, dass es noch in diesem Jahr etwas wird. Hirschhausen: Ganz schön dicke Bretter, die du da bohrst! Ich wünsche dir, dass du damit noch viele Späne in Bewegung bringst.