Mülheim. Der Streit um die geplante "Fassbinder"-Inszenierung mit dem als antisemitisch verschrienen Stück "Die Stadt, der Müll und der Tod" in der Mitte sorgt schon vor der Premiere am 1. Oktober für ein volles Theater.
Als Rainer Werner Fassbinders Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod”, in dem ein jüdischer Bodenspekulant sämtliche antisemitischen Klischees auf sich vereint und im städtischen Auftrag ganze Viertel kahlschlagsaniert, 1999 in Tel Aviv inszeniert wurde, witzelte einer der Zuschauer: „Ich weiß gar nicht, was an dem Stück antisemitisch sein soll – hier bei uns ist doch jeder, der mit Grundstücken spekuliert und zu Prostituierten geht, ein Jude!” In Deutschland indes funktioniert dieser Witz ungefähr so gut wie der Appell des jüdischen Intellektuellen Michael Wuliger, Deutsche sollte doch bitte etwas normaler mit Juden umgehen – das eine verdoppelt nur die Befangenheit, das andere erinnert nur daran, dass in Deutschland jeder Antisemitismus-Verdacht einen geschichtlichen Grund hat.
Auch im Mülheimer Raffelberg-Theater ist an diesem Sonntagmittag ein paradoxes Echo des Zivilisationsbruchs zu vernehmen, den die Chiffre Auschwitz bezeichnet: Es sei „wie immer” vor einer Premiere, sagen Theaterchef Roberto Ciulli (75) und sein Dramaturg Helmut Schäfer (57), und sie sagen es fünf, sechs Mal – wohl wissend, dass diesmal das Gegenteil der Fall ist. Noch nie hat sich bei der üblichen Sonntagsmatinee, die eine Premiereninszenierung vorbereiten soll, so viel Publikum im Theater eingefunden wie jetzt, von Fernsehkameras ganz zu schweigen. Rechts wie links vom vollbesetzten Parkett hocken junge wie ältere Damen auf dem Boden, andere stehen draußen vor der Tür, lauschen herein.
Gegner sind nicht erschienen
Gegner der Inszenierung von Fassbinders „Die Stadt, der Müll und der Tod”, von dem fast alle bislang nur den Titel gelesen haben, sind offenbar nicht erschienen. Der Protest, den der Zentralrat der Juden schriftlich zur Kenntnis gegeben hat, deutet auch eher auf Verletzung als auf bilderstürmerische Empörung. Als Fassbinders Stück mit seinen Anspielungen auf Ignatz Bubis 1975 im Frankfurter „Theater am Turm” entstand, verhinderte noch der örtliche Kulturdezernent Hilmar Hoffmann die Aufführung des Stücks. 1985 besetzten dann bei einem erneuten Versuch protestierende Juden die Bühne, so dass auch eine Aufführung in den Kammerspielen (Regie: Dietrich Hildorf) scheiterte. Es blieb bei einer Vorführung für die Presse, die seither als Uraufführung gilt. Öffentlich gezeigt wurde das Stück bisher nur im Ausland gezeigt, etwa in New York, in Paris, in Amsterdam und in Tel Aviv.
Eins steht jedenfalls fest: Wenn das Theater an der Ruhr es leid gewesen wäre, immer nur als kultureller Aktivposten der deutschen Außenpolitik in heiklen Weltgegenden wie Iran geschätzt zu werden, wenn es sich danach gesehnt hätte, auch daheim wieder mal politische Brisanz zu entfachen – der Plan hätte nicht besser ausgeheckt werden können. Ciulli und sein alter Fahrensmann Helmut Schäfer indes beteuern, sie hätten erst „aus der Presse erfahren”, dass „Die Stadt, der Müll und der Tod” ein Skandalstück sei.
Aktion Ehrenrettung
Abnehmen muss man ihnen allerdings, dass sie eine Ehrenrettung für Rainer Werner Fassbinder beabsichtigen. Genau wie sie Georg Büchner, Reinhold Michael Lenz und Federico Garcia Lorca in Stück-Collagen inszeniert haben, um sie von den Grabsteinen zu befreien, mit denen man sie erschlagen hat. Schließlich heißt die Inszenierung, die da am 1. Oktober im Raffelbergpark Premiere feiern soll, „Fassbinder”; schließlich umfasst sie neben dem Skandalstück auch noch das selten gespielte Drama des 20-jährigen Fassbinder „Nur eine Scheibe Brot” (in dem ein junger Regisseur, der einen Film über den Holocaust drehen soll, entdeckt, dass es dafür keine angemessene künstlerische Sprache gibt) sowie das „Blut am Hals der Katze”; und schließlich hat ein Theatertext immer nur ein Bein, das erst auf der Bühne um ein zweites ergänzt wird, wie der alte Theatermagier Roberto Ciulli gestern noch einmal betonen ließ.
Für ihn und Schäfer geht es vor allem darum, den Verfall der Sprache zu zeigen und was dieser mit dem Nationalsozialismus zu tun hat, als Ursache wie als Folge. So ist für Helmut Schäfer „der eigentliche Skandal, dass Fassbinder als Antisemit gilt”, obwohl er doch gerade den Antisemitismus auf die Bühne habe bringen wollen, um ihn zur Kenntlichkeit zu entstellen, um gerade dort die Mechanismen der Verdrängung offenzulegen.
Vielleicht hat das Unternehmen Ehrenrettung für Fassbinder auch den sensiblen Regisseur Roberto Ciulli blind dafür gemacht, dass in Deutschland das Herzeigen antisemitischer Klischees genügt, um alte Wunden und längst nicht verheilte Narben wieder schmerzen zu lassen. Den Beweis dafür, dass es sich lohnt, den Schmerz auszuhalten, um dem Antisemitismus, dem wachsenden Rassismus unserer Gegenwart etwas entgegenzusetzen, muss die Mülheimer „Fassbinder”-Inszenierung erst einmal antreten. Kaum eine Theaterpremiere war in der jüngsten Zeit so sehr zu künstlerischem Gelingen verdammt wie diese.