Essen. Die Stahlfamilie mit Hang zum Adel - die aktive Heiratspolitik der Thyssens nach Art der Habsburger zielte nur kurz aufs Mülheimer Bürgertum – und dann auf den europäischen Adel. Das sprichwörtliche Glück der Österreicher hatten sie dabei insgesamt eher nicht.
Seit fast zehn Jahren gehören die beiden Familiennamen zusammen wie Castrop und Rauxel: ThyssenKrupp, schriftbildlich so eng beieinander, dass auch nicht das dünnste Blech dazwischenpasst. Als Familie waren die Thyssens, im Vergleich mit den Krupps, an der Ruhr kaum verwurzelt.
Die Thyssens waren späte Zuwanderer aus Eschweiler bei Aachen. Dort war die Familie seit Generationen gutbürgerlich verwurzelt. Erst 1867 kam August Thyssen ins Ruhrgebiet. Sein Vater war technischer Leiter einer Drahtfabrik in Eschweiler gewesen und hatte sich dann mit einem Bankgeschäft selbstständig gemacht. Genau diese Kombination aus technischem und ökonomischem Wissen wählte auch August Thyssen bei seiner Ausbildung, ehe er für kurze Zeit ins väterliche Geschäft einstieg und bald darauf mit 25 Jahren nach Duisburg kam.
Dort hatten die wallonischen Industriellen Bicheroux ein Bandeisenwalzwerk gegründet. In diese Familie hatte August Thyssens Schwester Balbina eingeheiratet, und so erhielt der junge August die Chance, mit 8000 Talern vom Vater in das Unternehmen einzusteigen und die kaufmännische Leitung zu übernehmen. Er muss das gut gemacht haben, denn die Firma florierte. Doch Thyssen wollte nach vier Jahren mehr unternehmerische Freiheit. Er investierte sein ansehnlich vermehrtes Firmenkapital und einen gleich hohen Beitrag von seinem Vater in ein eigenes Unternehmen, diesmal in Styrum (heute Mülheim). Am 2. Oktober 1871 begann das Bandeisenwalzwerk „Thyssen & Co.“ mit der Produktion. Das war die Keimzelle des späteren Stahlriesen Thyssen.
Als Vater Thyssen gestorben war, trat 1877 August Thyssens jüngerer Bruder Joseph als Mitinhaber ein. Er kümmerte sich vorwiegend um die internen Abläufe, während August Thyssen die Firma nach außen vertrat und bald zügig erweiterte. Die beiden Brüder scheinen ein seltenes Beispiel familiär-unternehmerischer Eintracht gewesen zu sein. Der Umstand, dass ihre Schreibtische in einem Raum beieinander standen, gilt in der Unternehmenschronik als Beweis für ihre Vertrautheit. Die Zusammenarbeit endete erst 1915, als Joseph Thyssen auf dem Werksgelände verunglückte und an den Verletzungen starb.
In die Zeit der brüderlichen Unternehmensleitung fällt die gewaltige Expansion der Firma Thyssen & Co. Unter mehreren Bergwerken, Kalksteinbrüchen und Roheisenproduzenten, die Thyssen zur Versorgung seines Unternehmens kaufte, war die Gewerkschaft „Deutscher Kaiser“ in Hamborn der dickste Fisch. Was Thyssen an der Zeche besonders reizte, waren ihre Gleisanbindungen und ein eigener Rheinhafen. Nach und nach kaufte er das wenig er-giebige Gelände über den Grubenfeldern auf und errichtete dort ein gewaltiges Stahl- und Walzwerk, das bis heute den Kern des Stahlunternehmens ThyssenKrupp bildet.
Der kleine Stahlbaron
Ruhr-Familien - Die Serie
Bis zum Ersten Weltkrieg wuchs Thyssen zu einem führenden Stahlproduzenten und Bergwerksunternehmen heran – im Vergleich zum Nachbarn Krupp ein blitzartiges Wachstum. Der Name Thyssen war binnen 30 Jahren zu einem Synonym für die Schwerindustrie an der Ruhr geworden, nicht aber so berühmt oder berüchtigt wie Krupp. Denn Thyssen lieferte zwar rüstungstauglichen Stahl, produzierte aber selbst keine Waffen. Den Ruhm eines Kanonenkönigs machte der kleine Stahlbaron August Thyssen (er maß 1,56 Meter) seinen Konkurrenten Alfred und Friedrich Alfred Krupp nicht streitig.
Weniger Glück als mit der Firmenexpansion hatten die Brüder Thyssen beim Versuch, eine Familiendynastie zur weiteren Beherrschung des Unternehmens zu etablieren. Dabei hatten beide ganz sichergehen wollen und in Mülheimer Unternehmerfamilien eingeheiratet. Joseph Thyssen heiratete Klara Bagel; beide Söhne traten auch in die Firma ein. Doch ihre schwache Gesundheit, so die Firmenchronik, erlaubte aktive Mitarbeit nur für kurze Zeit. August Thyssen wählte die Unternehmertochter Hedwig Pelzer, doch außer schnellem Kindersegen in Gestalt von Fritz, August junior, Heinrich und Hedwig war der Ehe kein Glück beschieden.
Wie Alfred Krupp hatte der Workaholic August Thyssen wenig Zeit und Interesse für die Wünsche seiner jungen Frau. Wie Bertha Krupp verbrachte Hedwig immer mehr Zeit fern von der Ruhr und genoss das gesellschaftliche Leben in vornehmen Badeorten. Dass sie dabei die Grenzen des Schicklichen überschritt, hatte „nicht zu verheimlichende Folgen“, wie es in der Firmenchronik dezent heißt. Obwohl das Kind nicht lebend zur Welt kam, ließ August Thyssen sich scheiden. Hedwig Thyssen ging ihrer Wege; die Kinder kamen unter die Obhut des Kindermädchens. Vater August hat sich wenig um sie gekümmert; alles andere wäre für einen vielbeschäftigten Mann seiner Zeit aber auch sehr ungewöhnlich gewesen.
Umzug ins Grüne
Dreißig Jahre lang wohnte August Thyssen mit seiner Familie in jener Villa, die er bei seiner Mülheimer Firma hatte bauen lassen. Dass sie zunehmend eingeengt war zwischen Fabrikhallen, Gleisanlagen und dem benachbarten Gaswerk, war für einen aktiven Firmenherrn wie Thyssen nicht unüblich: So konnte er im Werk jederzeit zur Stelle sein. Als alter Mann und Single folgte Thyssen schließlich doch dem Trend und zog, wie andere Industrielle auch, aus dem Dunstkreis seiner Werke ins Grüne. Schließlich gab es inzwischen Telefon. Anders als Alfred Krupp baute Thyssen sich keinen eigenen Palast; er kaufte ein Schloss und ließ es großzügig umbauen: Landsberg bei Kettwig.
Thyssen auf Schloss Landsberg, Krupp auf Villa Hügel – die Namen legen falsche Vorstellungen nahe. Tatsächlich hat Krupps „Villa“ weit eher die Dimensionen eines herrschaftlichen Schlosses, während der alte Adelssitz Landsberg von bescheidenerem Zuschnitt ist und nach dem Umbau für Thyssens Bedürfnisse durchaus als größere Fabrikanten-Villa gelten kann. Und während „Villa Hügel“ unübersehbar über dem Ruhrtal thront, versteckt sich Landsberg geradezu im Wald oberhalb der Kettwiger Ruhr. Wer den Weg hinauf zum Schloss findet, gar bei einer Führung einen Blick ins Innere werfen kann, stellt sofort fest, um wie vieles intimer dieses Haus wirkt.
Gleichwohl hat August Thyssen sein Schloss hauptsächlich zu Repräsentationszwecken gekauft. Gut möglich, dass der alte Fuchs damit „antizyklisch“ handelte: 1902, als er das Projekt anstieß, litt seine Firma unter einer allgemeinen Stahl-Absatzkrise und war zeitweise knapp bei Kasse. Da konnte es nicht schaden, so ThyssenKrupp-Chefarchivar Manfred Rasch, mit dem Kauf des Schlosses Solidität zu demonstrieren. Das Erdgeschoss verfügt denn auch über eine Flucht repräsentativer Räume, bei denen der oft als geizig beschriebene Thyssen gewiss nicht auf den Pfennig gesehen hat. Sein Architekt bediente sich in jedem Raum auf andere Weise aus dem großen Fundus des Historismus, aber gediegen und keineswegs vulgär. Von besonderem Reiz ist der Jugendstil-Wintergarten.
Schloss ohne Familie
Die restaurierten Privaträume im Obergeschoss spiegeln das Leben eines allein lebenden, von Personal umsorgten älteren Herrn – und den praktischen Sinn des alten Thyssen. Wenn er sich zurückzog und nach oben ging, führte der Weg von der Treppe geradewegs ins Alltags-Bad samt WC. Und von dort ging es in sein kleines Schlafzimmer mit dem verblüffend kurzen Einzel-Himmelbett. Die Einrichtung zeigt dunkles Eichenholz, wie es sich für einen gesetzten, konservativen Mann geziemt – aber auch eine floral gemusterte, überraschend „romantische“ Tapete. Dass Thyssen hingegen für Literatur wenig übrig hatte, zeigt ein Blick ins Arbeitszimmer: Die Bibliothek darf als „übersichtlich“ bezeichnet werden.
August Thyssen lebte allein auf Schloss Landsberg, aber er war kein kränkelnder Eigenbrötler wie Alfred Krupp in seinen letzten Jahren auf Hügel. Er war zwar mit seinen 1,56 Metern, seiner hohen Stimme und dem trippelnden Schritt kein körperlich eindrucksvoller Mann; von schwachen Augen abgesehen, war er jedoch bis kurz vor seinem Tod gesund und fit. Und angesichts des Doppelbetts im „besten Gästezimmer“ werden Besucher mit der überraschenden Tatsache vertraut gemacht, dass Thyssen eine Gefährtin hatte, die unten in Kettwig vor der Brücke wohnte, aber oft oben auf Landsberg zu Gast war.
Streit mit den Kindern
Als August Thyssen im April 1926 auf Landsberg starb, war die Geschichte des großen Familienunternehmens Thyssen praktisch schon beendet, die Familie selbst zerbrochen. Landsberg wurde nie, wie Thyssen in seinem Testament gewünscht hatte, zum Treffpunkt seiner Kinder und Enkel. Das alles ging wohl letztlich auf Augusts gescheiterte Ehe zurück. Weil seine Frau eine beträchtliche Mitgift ins Unternehmen eingebracht hatte, übertrugen sie bei der Trennung ihr gemeinsames Vermögen schon auf die Kinder. August Thyssen indessen behielt sich das Verfügungsrecht über die Werke vor. Darüber kam es besonders mit Tochter Hedwig und August junior zu bitterem Streit, unter dem der alte Thyssen litt. Möglich, dass der Vater nun die Quittung dafür bekam, dass seine Kinder praktisch elternlos aufgewachsen waren. Ausgerechnet August junior, eigentlich der Lieblingssohn, war ein unsteter Charakter und geradezu das schwarze Schaf der Familie. Er und Hedwig wurden früh ausbezahlt und hatten mit der Firma Thyssen nichts mehr zu tun.
Fritz Thyssen, der älteste, war die tragische Figur seiner Familie. Seinetwegen, glaubt Firmenarchivar Manfred Rasch, hat Patriarch August 1925 beschlossen, den größten Teil seines gewaltigen Unternehmens in die „Vereinigten Stahlwerke“ einzubringen. Diesen Trust hatten führende Unternehmen der Branche gegründet, um durch Rationalisierung die anhaltende Krisenanfälligkeit zu beenden. Krupp war dem Zusammenschluss am Ende fern geblieben. Augusts zweitgeborener Sohn, Heinrich, hielt auch Thyssen allein für stark genug. Doch die Führung der Firma wäre Fritz zugefallen, dem Ältesten. Den aber, da ist sich Manfred Rasch sicher, erkannte August Thyssen letztlich als idealistischen Wirrkopf, der Chefrolle nicht gewachsen.
Ende des Imperiums
So ging der größte Teil des Thyssen-Imperiums 1926 in die Vereinigten Stahlwerke über, wo der Stinnes-Manager Albert Vögler als Vorstandschef die Zügel fest in der Hand hielt. Fritz Thyssen blieb als Aufsichtsratsvorsitzender dem laufenden Geschäft fern. In dieser Rolle jedoch beging Thyssen eine Dummheit, die viel zum – weitgehend falschen – Ruf der Schwerindustrie als frühem Förderer der Nationalsozialisten beitrug. Thyssen hatte sich nämlich in die Idee vom „Ständestaat“ verguckt, wie sie damals von mehreren Vordenkern am rechten politischen Rand propagiert wurde. In der Praxis war das wenig mehr als eine mittelalterlich-romantische Verbrämung für autoritäre Staatsführung, wie bei den italienischen und österreichischen Faschisten. In Deutschland spielten unter anderem der machthungrige Kurzzeit-Kanzler Franz von Papen und die Nazis mit der Idee.
Fritz Thyssen förderte die NSDAP und mühte sich, das Misstrauen seiner Industrie-kollegen gegenüber dem radikalen Schreihals Hitler zu zerstreuen. Berüchtigt wurde in diesem Zusammenhang eine „staatsmännische“ Rede Hitlers im Düsseldorfer Industrieclub 1932. Thyssen wurde Parteimitglied und 1933 von der neuen Regierung mit Ämtern überhäuft. In Düsseldorf durfte er ein „Institut für Ständewesen“ gründen, das aber schon 1936 wieder geschlossen wird. Thyssen hatte zu viele Konkurrenten im NS-Kompetenzdschungel, und der „Ständestaat“ war out. Schon im Sommer 1934 hatte Fritz Thyssen wohl fast alle seine Illusionen hinsichtlich der Nazi-Führung verloren: als sie nämlich ihre blutige „Säuberung“ in der SA vollzog und dabei gleich auch ein paar ehemalige Verbündete aus dem rechten Lager umbringen ließ – darunter Edgar Jung, einen der Ständestaatsideologen.
Die wachsende Distanz zwischen Vorzeige-Industriellem und Regime wird öffentlich, als der Abgeordnete Fritz Thyssen im September 1939 nicht zur Reichstagssitzung erscheint und statt dessen seinen Protest gegen den gerade begonnenen Polenkrieg an Göring telegrafiert. Thyssen geht in die Schweiz und will über Frankreich zu seiner Tochter nach Argentinien emigrieren. 1940 bürgern ihn die Nazis aus und beschlagnahmen sein Vermögen, haben wollen sie ihn aber doch. Bei der Flucht bleiben die Thyssens in Vichy-Frankreich hängen und werden an Deutschland ausgeliefert. Dort werden sie interniert und schließlich bis Kriegsende in Konzentrationslagern festgehalten.
Man kann wohl sagen, dass Fritz Thyssen teuer bezahlt hat für seinen Nazi-Irrtum. Er wurde denn auch beim Entnazifizierungsverfahren als „minderbelastet“ eingestuft, erhielt sein Vermögen zurück und ging 1950, mit zehnjähriger Verspätung, nach Argentinien. Ein Jahr später starb Thyssen dort an einem Herzschlag. Die „Vereinigten Stahlwerke“ wurden nach dem Krieg entflochten. Aus den meisten Thyssen-Teilen wurde nach und nach wieder ein großer Stahlkonzern namens Thyssen zusammengefügt, mit Schwerpunkt in Duisburg und Verwaltungssitz in Düsseldorf. Er wuchs und veränderte sich, übernahm andere Traditionsfirmen und dabei von der „Rheinstahl“ auch den Bogen als Firmenlogo. 1997 verschmolzen die Stahlsparten von Thyssen und Krupp; seit 1999 sind die beiden Firmen eins. Die Erben Fritz Thyssens traten als Leiter des Unternehmens nicht in Erscheinung, hielten aber noch bedeutende Anteile daran. Seit sie 1996 verkauften, sind Thyssens nicht mehr an der Firma beteiligt.
Hang zum Adel
Ganz anders erging es Fritz’ jüngerem Bruder, Heinrich Thyssen-Bornemisza. Der fremd klingende Zusatzname weist auf den erstaunlichen Hang der Thyssens zu großer Gesellschaft und Adel hin. Der alte August hatte, wie Alfred Krupp, eine Auszeichnung durch Adelstitel noch bürgerstolz zurückgewiesen. Und sein ältester Sohn, Fritz, hatte wiederum eine Mülheimer Unternehmertochter geheiratet, was dem Alten begreiflicherweise auch wieder nicht recht war. August junior dagegen bestand darauf, seine Militärzeit bei einem bis dato rein adeligen Regiment abzuleisten. Augusts Tochter Hedwig heiratete zuerst Freiherrn Ferdinand von Neufforge, später Baron Max von Berg. Fritz’ einzige Tochter Anita tat es ihr bald gleich; sie wurde durch Heirat mit Gabor Graf Zichy zu Anita Gräfin Zichy-Thyssen.
Den Ton vorgegeben hat Heinrich Thyssen. 1905 ging er nach Ungarn, wurde ungarischer Staatsbürger und heiratete 1906 Margareta Baronesse Bornemisza de Kászon. Sie war einziges Kind ihrer Eltern; ein Jahr später adoptierte der Vater seinen Schwiegersohn. Kaiser Franz Joseph, da gibt es wieder eine Parallele zu den Krupps, erteilte höchstselbst die Genehmigung und erlaubte Heinrich und seinen Nachfahren, Namen und Titel „Baron Bornemisza de Kászon“ zu führen. Heinrichs Glück: Da es sich um einen ungarischen Titel handelte und nicht um einen österreichischen, galt dieses Privileg über den Untergang der k.u.k. Monarchie hinaus.
Vom Trust der „Vereinigten Stahlwerke“ hielt Heinrich nichts. Sein gemischtes Erbe aus einigen deutschen Thyssen-Werken und ausländischen Handelsaktivitäten mit Schwerpunkt in den Niederlanden führte er selbstständig weiter, unauffällig. Einen Namen machte er sich zusehends als Kunstfreund. Die Sammlung mit Werken von der Renaissance bis zur Romantik brachte er 1932 im schweizerischen Lugano unter. Sie galt schon damals als einer der weltweit größten privaten Kunstschätze. Als Heinrich Thyssen-Bornemisza 1947 in Lugano starb, schien ihm außer der Sammlung nichts geblieben zu sein; das Unternehmen war im Krieg zu großen Teilen zerschlagen worden.
Weit gefehlt. Was 1950 wirklich verloren ging, war der Barons-Titel. Auf den musste Heinrichs Sohn Hans Heinrich verzichten, als er Bürger der erzrepublikanischen Schweiz wurde. Das Unternehmen aber machte Hans Heinrich nach und nach zu einem weltweit operierenden Mischkonzern „Thyssen-Bornemisza Group“, fernab aller Stahlkrisen und höchst erfolgreich. Berühmt wurde „Heini“ als besessener Sammler moderner Kunst – und auf dem gesellschaftlichen Parkett als Sammler schöner Frauen, von denen er fünf auch geheiratet hat. Dass es mit dem Adel nach der Einbürgerung in die Schweiz und der Scheidung von seiner ersten Frau – einer Prinzessin zur Lippe-Weißenfeld – eigentlich vorbei war, nahmen die Berichterstatter der einschlägigen Presse nie so genau. Als Thyssen nach einem neuen Standort für seine öffentlich zugängliche Sammlung suchte und in der Schweiz wenig Entgegenkommen fand, gab die Herkunft seiner letzten Ehefrau den Ausschlag. So kommt es, dass es seit 1992 ein „Museo Thyssen-Bornemisza“ in Madrid gibt. Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza, Schweizer Staatsbürger mit deutsch-un-garischem Namen, geboren in Den Haag, starb 2002 in Spanien.
Thyssen mit ü
Alles in allem haben die Thyssens an der Ruhr nur ein kurzes Gastspiel gegeben. Etwa 30 Jahre lang waren sie von 1872 eine Mülheimer Familie, wenn auch seit 1885 mit mehr schlecht als recht „alleinerziehendem“ Vater, ehe sie in alle Winde verstreut wurden. Erst im Tod sind einige von ihnen wieder an der Ruhr vereint: In der Familiengruft auf Schloss Landsberg ruhen neben dem alten August Thyssen auch Fritz, dessen Frau und deren einzige Tochter, sowie Heinrich und Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza.
Im übrigen wurde das Schloss während des Krieges vom „Ruhrstab“ des speerschen Rüstungsministeriums genutzt, anschließend von den alliierten Besatzern, diente dann jahrzehntelang unter wechselnder Trägerschaft als Kinder- und Freizeitheim. 1989 wurde das Schloss zur Tagungs- und Seminarstätte der Thyssen AG, später ThyssenKrupp umgebaut. Dabei wurde das ganze Haus, einschließlich der Privatzimmer, liebevoll restauriert. Es ist fast so, als könnte jeden Moment mit trippelnden Schritten der kleine, große Hausherr die Szene betreten: August Thyssen. Müsste man ihn, alte Frage, mit „Tüssen“ ansprechen oder mit „Tissen“? Archivar Manfred Rasche sagt, es gebe zwar keine Tonaufnahmen, doch habe der Alte seinen Namen stets mit zwei Pünktchen überm „y“ geschrieben. Also wohl: Tüssen.