Essen. Die Familie Schmitz-Scholl legte den Grundstock zur heutigen internationalen Unternehmensgruppe Tengelman, die immer noch im Besitz der Gründerfamilie ist. Bis heute liegt die Firmenzentrale in Mülheim.

Wieder einmal Mülheim: In jener Stadt, in der vor 150 Jahren die Stinnes und die Thyssens ihre späteren Imperien begründeten, legte zur gleichen Zeit eine andere Familie den Grundstock zur heutigen internationalen Unternehmensgruppe Tengelmann. Die Firmenzentrale liegt noch heute in Mülheim, und das Unternehmen ist noch immer in den Händen der Gründerfamilie

Wenn das mit den Tengelmanns außerhalb Mülheims nicht überall bekannt ist, liegt das wohl auch an den Namen. Denn erstens sind es keineswegs Tengelmanns, die Tengelmann gegründet und groß gemacht haben. Und zweitens wurde das Unternehmen seit 1969 über 30 Jahre lang von Erivan Haub geprägt. Haub aber ist nicht der Name des Gründers, und Erivan darf man einen exotischen Vornamen nennen. Obendrein wusste man von diesem öffentlich sehr zurückhaltenden Mann, dass er ein halber Amerikaner sei.

In Wahrheit aber sind Erivan Haub und seine Söhne sehr wohl direkte Nachfahren des Mülheimer Firmengründers, der noch auf den Allerweltsnamen Schmitz hörte.

Lehre ohne Lohn

Hermann Wilhelm Schmitz wird 1831 als Sohn eines Mülheimer Tuchhändlers geboren und gehört damit zu den bürgerlichen Mülheimer Kreisen. So kann er auch die „höhere Bürgerschule“ besuchen und Privatunterricht in englischer Sprache erhalten. Mit 15 Jahren allerdings verlässt der junge Schmitz die Schule und absolviert eine dreijährige Lehre in einer Kolonialwaren-Handlung. Der mit 74 Jahren schon betagte Vater hat die Stelle vermittelt, damit der älteste Sohn möglichst bald als Kaufmann würde verdienen können.

Von Geld ist zwar in der unbezahlten (!) Lehre noch keine Rede; obendrein stirbt Vater Schmitz, noch ehe die Lehre beendet ist. Doch Wilhelm macht auf seinen Chef einen so guten Eindruck, dass er als Angestellter übernommen und 1856 sogar zum Nachfolger des Inhabers bestimmt wird. Schmitz führt das Geschäft zehn Jahre mit einem Teilhaber als „Wilh. Schmitz & Lindgens“; am 1. Januar 1867 wird er Alleinnhaber. „Schmitz“ als Firmenname ist ihm zu verwechselbar, so fügt er den Geburtsnamen seiner Frau an: „Wilh. Schmitz-Scholl“. Und er räumt seiner Frau auch Prokura ein.

Handel mit Kolonialwaren

1855 hat Schmitz seine Louise, geborene Scholl geheiratet, Tochter eines Ruhrschiffers und Gastwirts. Das junge Paar erarbeitet sich rasch einen Platz im Mülheimer Bürgertum; die Schmitz’ weben ein damals typisches Netzwerk aus familiären und geschäftlichen Verbindungen. So heiratet die älteste Tochter einen Geheimen Sanitätsrat, der älteste Sohn eine junge Frau aus der hoch angesehenen Essener Familie von Waldthausen.

„Wilh. Schmitz-Scholl“ handelt en gros mit Kolonialwaren, vorwiegend mit Kaffee, Tee und Kakao. Die Kaffeebohnen werden, wie üblich, „grün“ verkauft und erst vom Kunden geröstet. Mit der Idee, Kaffee industriell zu rösten, geht 1880 in Viersen Josef Kaiser voran. Wilhelm Schmitz folgt 1882. Das Geschäft läuft gut, steht jedoch bald im Schatten privaten Unglücks: 1886 wird Louise Scholl bei einem Kutschenunfall schwer verletzt; die Sorge um seine Frau setzt auch dem herzkranken Schmitz zu. 1887 stirbt er mit 56 Jahren. Die Witwe folgt ihm wenige Monate später. Zuvor überträgt sie das Geschäft auf Wilhelm junior, den ältesten, und Karl, den jüngsten Sohn. In dieser Generation etabliert sich der Doppelname Schmitz-Scholl.

Neue Kaffee-Geschäfte

Es ist Karl, der sich bald als kaufmännischer Erbe des Firmengründers entpuppt. Seine Idee ist es, die Waren künftig über eigene Filialgeschäfte zu vertreiben. Einen bodenständig klingenden Namen für das neue Geschäft steuert Emil Tengelmann bei: Der Spross einer im Bergbau aktiven Essener Unternehmerfamilie ist Prokurist bei Schmitz-Scholl. Der erste Laden eröffnet als „Tengelmann’s Kaffee-Geschäft“ 1893 in der Düsseldorfer Altstadt. Rasch wächst ein Filialnetz über ganz Deutschland; allmählich wird das Sortiment dabei um Lebensmittel und Haushaltwaren erweitert. Am Namen Tengelmann halten die Brüder Schmitz-Scholl auch fest, als ihr Prokurist 1904 mit nur 40 Jahren stirbt.

Unterdessen ordnet Karl Schmitz-Scholl sein Privatleben: 1895 heiratet er Elisabeth Weynen, Tochter des Technischen Direktors der Bergeborbecker Zinkhütte. Die Hütte ist in belgischem Besitz, und auch der Direktor ist Belgier – was freilich seinen erstaunlichen Vornamen nicht erklärt: Er heißt Erivan; als Vorname ist das in Belgien so ungewöhnlich wie überall sonst auch. Selbst in der Familie weiß man heute nicht, wie die Vorfahren einst auf Erivan gekommen sind. Dennoch: Der 1896 geborene Sohn von Karl und Elisabeth Schmitz-Scholl heißt Karl Wilhelm Erivan Schmitz-Scholl, und auch über folgende Generationen hat man das geheimnisvolle Erivan traditionsbewusst fortleben lassen, wiewohl das braven deutschen Standesbeamten mangels Präzedenzfall schlaflose Nächte bereitet haben mag.

Die Wege der Brüder Schmitz-Scholl trennen sich. Wilhelm, der ältere, scheidet aus der Geschäftsleitung aus, gründet 1906 die „Rheinische Zuckerwarenfabrik“ in Düsseldorf und verlegt auch seinen Wohnsitz dorthin. In einer neuen Geschäftsidee sind sich die Brüder indes einig: Süßwaren. Nicht nur Wilhelm beliefert die Tengelmann-Filialen; auch Karl wendet sich dem neuen Nasch-Markt zu und lässt 1911/12 im Mülheimer Stadtteil Speldorf eine Kakao- und Schokoladenfabrik errichten. Dort ist bis heute die Zentrale der Tengelmann-Gruppe.

Wir bei Wissoll

Den Ersten Weltkrieg und die Inflation überstehen Schmitz-Scholl und die Filialkette Tengelmann glimpflich. Nach 1925 allerdings gerät die Firma in eine Krise: Die Konkurrenz ist groß, Gewinne schrumpfen, das Filialnetz wirkt veraltet. Neue Steuern und juristische Auseinandersetzungen mit Bruder Wilhelm machen Karl Schmitz-Scholl das Leben nicht leichter. Auch ist er zu krank, um seine Firma noch energisch sanieren zu können. 1927, im selben Jahr stirbt Bruder Wilhelm, übergibt Karl die Geschäftsführung an seinen Sohn Karl junior.

Der schafft in kurzer Zeit die Wende – mit Rationalisierung, einem moderneren Auftritt, neuartiger Werbung und Rabatt-Aktionen. Außerdem liefert die Schokoladenfabrik nun auch an fremde Firmen. Dafür zieht man einfach den Namen „Wilh. Schmitz-Scholl“ zur neuen Marke zusammen: „Wissoll“. Das passende Logo aber schwelgt in humanistischer Bildung: Der Name wird als „vis / sol“ interpretiert; dass dies die lateinischen Wörter für Kraft und Sonne seien, wird mit den – griechischen – Götternamen Herakles und Helios verdeutlicht. So gesucht das heute wirkt – Wissoll wird zum Begriff, zumal in Mülheim: Wer bei Wissoll arbeitet, ist stolz darauf – und weiß auch, was es mit „vis“ und „sol“ auf sich hat.

"Kanonen statt Butter"

Senior Karl Schmitz-Scholl stirbt im April 1933. Seine Kinder Karl und Elisabeth erben das Unternehmen zu gleichen Teilen, doch Karl junior allein ist vertretungsberechtigt. Das ist im „Dritten Reich“ kein Vergnügen. Denn erstens sind den „nationalen Sozialisten“ Filialbetriebe grundsätzlich suspekt, auch wenn sie „Ariern“ gehören. Zweitens rüsten sie unter dem Schlagwort „Kanonen statt Butter“ und erschweren mit ihrer Autarkiepolitik den Zugang zu exotischen Rohstoffen. Das gilt erst recht im Krieg, und wieder einmal muss sich die Speldorfer Fabrik mit der Produktion von Lebensmitteln und „Ersatz“ unentbehrlich machen.

Als Karl junior nach 1947 aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrt, ist das Unternehmen schwer angeschlagen. Die meisten Tengelmann-Geschäfte liegen in Trümmern, doch wichtige Teile wie das Wissoll-Werk in Mülheim haben den Krieg überstanden. Im „Wirtschaftswunder“ können sich auch Wissoll und Tengelmann regenerieren. Symbol für den Aufstieg mit neuen, „amerikanischen“ Methoden ist das erste Selbstbedienungsgeschäft. 1953 ist Tengelmann damit vielen Konkurrenten voraus, und so eröffnet man dieses Geschäft nicht irgendwo, sondern in der Münchener Leopoldstraße. Nach und nach wird das ganze Filialnetz umgestellt; 1968 gibt es 350 moderne Tengelmann-Supermärkte.

Skeptischer Onkel

Zu dieser Zeit ist Karl Schmitz-Scholl 72 Jahre alt – und kinderlos. Wenn Wissoll/Tengelmann ein Familienunternehmen bleiben soll, läuft eigentlich alles auf Karls Neffen Erivan zu, den Sohn seiner Schwester. Aber von dieser Perspektive scheint Schmitz-Scholl nicht recht überzeugt zu sein. Als er aus der Gefangenschaft zurückkehrt, nimmt er die Zügel jedenfalls rasch wieder in die Hand – allein. Schwester Elisabeth, die sich vorübergehend ums Geschäft gekümmert hat, zieht sich zurück. Und Erivan, ihr Sohn, hat noch einen langen Weg vor sich, ehe er das Erbe des Onkels übernimmt.

Erivan Haub wird 1932 in Wiesbaden geboren. Die Eltern, Erich und Elisabeth Haub, geb. Schmitz-Scholl, gehören dort zum gehobenen Bürgertum. Ihre gesellschaftliche Rolle, so wird Erivan Haub später berichten, geben sie aber bald nach dem 30. Januar 1933 völlig auf: Sie wollen so wenig mit den Nationalsozialisten zu tun haben, dass sie einen Hof kaufen und sich weitab von allem der Landwirtschaft widmen – während in Mülheim Karl Schmitz-Scholl mit den NS-Größen auskommen muss, wenn er denn sein Unternehmen in der Hand behalten will.

Als Erivan Haub volljährig wird, beginnt eine ausgiebige Lehr- und Bewährungszeit. Zunächst geht er als Lehrling in die USA. Viel später in persönlichen Interviews erzählt er fast unglaubliche Anekdoten aus dieser Zeit: So packt er in einem Chicagoer Supermarkt Waren ins Regal – und der Vorgesetzte räumt ihm immer wieder alles vor die Füße, weil Haub angeblich nicht ordentlich gearbeitet hat. Irgendwann streckt der junge Deutsche seinen Quälgeist mit einem Schlag zu Boden – vor den Augen entsetzter Kunden. Aber: „Die Geschäftsleitung gab mir Recht und eine höhere Position.“

Beeindruckt vom American Way of life

Offensichtlich ist der junge Haub vom American Way of Life beeindruckt. Vielleicht gerade weil er am unteren Ende aller Hierarchien erlebt, wie man sich da durchsetzen kann – wenn man kann. Das wird noch Folgen haben. Aber nach zwei Jahren Praxis beordert die Familie ihn erst mal zurück nach Deutschland, zum Studium der Wirtschaftswissenschaft. Erivan Haub fügt sich ungern, aber erfolgreich. Zu den schönen Aspekten des Studiums zählen Fluchten ins Praxisleben der Hamburger Tengelmann-Niederlassung – und die Begegnung mit der Studentin Helga Otto, seit 1958 Helga Haub.

Nach dem Studium durchläuft Erivan Haub noch Stationen bei einer Immobilienfirma und bei der Commerzbank, ehe sich 1963 ein Platz bei Tengelmann in Wiesbaden für ihn findet. Sechs Jahre arbeitet Erivan Haub auf diesem wenig herausgehobenen Posten. Als Karl Schmitz-Scholl 1969 überraschend stirbt, scheint alles möglich – auch, dass er seinen Neffen ausgebootet hat. Aufbau eines Nachfolgers sieht anders aus. Der zupackende Erivan Haub fährt dennoch gleich nach Mülheim und meldet seinen Führungsanspruch an – erst später zeigt das Testament, dass er nicht enterbt, sondern zum Chef bestimmt ist. Und der Neue macht im Unternehmen rasch klar, dass er nicht nur auf dem Papier „allein geschäftsführender Gesellschafter“ zu sein gedenkt. Er führt wirklich; die „Ära Haub“ beginnt.

Was Erivan Haub vorfindet, nennt er später „solide, aber bescheiden“. Das ändert er bald, und dabei kleckert er nicht: Mit einem Paukenschlag übernimmt Tengelmann 1971 den alten Rivalen „Kaiser’s“. Technisch handelt es sich um eine feindliche Übernahme. In der freundlichen Praxis bleibt „Kaiser’s“ weitgehend erhalten, und Synergien durch Entlassungen strebt Erivan Haub nicht an.

Zurückhaltung

Es folgen weitere Zukäufe, in Deutschland und im europäischen Ausland. Haub fügt den Supermärkten (Tengelmann und Kaiser’s) Discounter hinzu („Plus“) und Großmärkte, später Baumärkte, Drogerie- und Textilketten. Spektakulär ist 1979 der Einstieg bei der „Great Atlantic & Pacific Tea Company“ in den USA. Als Tengelmann gegründet wurde, war „A&P“ schon weltweit bewunderter Schrittmacher im neuen Filialgeschäft. Nun ist die Firma ziemlich heruntergewirtschaftet, und viele Beobachter erwarten, dass Käufer Erivan Haub grandios scheitert. Doch der schafft es, das Ruder herumzureißen und „A&P“ zu sanieren – entgegen seinen üblichen Gewohnheiten allerdings auch durch ein rigoroses Sparprogramm, einschließlich Entlassungen.

Erivan Haub macht die Tengelmann-Gruppe zum größten Lebensmittel-Filialisten Deutschlands und zu einem weltweit agierenden Unternehmen. Und er wird dabei sehr wohlhabend. In den achtziger Jahren taucht er zu seiner Bestürzung erstmals in der berühmten „Forbes“-Liste unter den Reichen dieser Welt auf. Das alles weckt natürlich das Interesse der Öffentlichkeit, der Medien. Aber Erivan Haub kommt diesem Interesse kaum entgegen. Er wird zwar nicht zu einem Phantom wie die beiden Albrecht-Brüder. Aber über die Gewinne der Tengelmann-Gruppe kann die Wirtschaftspresse stets nur orakeln. Und das Bild des Chefs ist lange eigentümlich diffus.

Engagement

Denn einerseits finden Pressetermine mit dem Tengelmann-Chef zwanzig Jahre lang einfach nicht statt. Erst Mitte der achtziger Jahre bricht er mit dieser Gewohnheit und gibt sein erstes Interview. Andererseits geht Erivan Haub mit seinem Namen durchaus in die Öffentlichkeit – vor allem bei seinem Engagement für die Umwelt. Schon seine Mutter hat 1968, in Erinnerung an ihren Vater, den „Karl Schmitz-Scholl-Fonds“ gegründet; die Stiftung fördert Initiativen zum Umweltschutz. Erivan Haub dehnt das Engagement auf die Tengelmann-Gruppe aus. Berühmt wird die erste Initiative, mit der Schildkrötensuppen und Froschschenkel aus dem Sortiment verbannt werden. Es folgen Aktionen gegen Einweg-Plastikflaschen, phosphathaltige Waschmittel und FCKW- haltige Sprays. „Der Umwelt zuliebe“ setzt Haub entschlossen die Einkaufskraft seiner Unternehmen bei den Lieferanten ein, auch mit Anzeigen in Form offener Briefe, einschließlich seiner Unterschrift.

Ein bodenständiger Mülheimer Unternehmer wie seine Vorfahren ist Erivan Haub gewiss nicht. Eher schon ist er Wiesbadener. Und die frühen Erlebnisse in den USA haben ihn wirklich zu einem halben Amerikaner gemacht: Seit den fünfziger Jahren lebt er einen guten Teil des Jahres mit seiner Familie in Tacoma bei Seattle an der Westküste; alle drei Söhne – Karl-Erivan, Christian und Georg – sind dort geboren. In Wyoming kauft Haub außerdem eine Ranch; in den bayerischen Alpen legt er sich ein Hotel zu. Ein Leben – meilenweit entfernt von dem seiner Angestellten. Stoff für viele Seiten in der Regenbogenpresse. Aber dort taucht Erivan Haub nicht auf; und ebenso wenig sieht man ihn nach Art von Berthold Beitz als politisierenden Manager mit den Großen der Welt in der Tagesschau.

Zu fürsorglich?

Dem Firmenchef Haub wird sein weltläufiger Lebensstil nicht übelgenommen. Daheim in Mülheim wird er sogar wahrgenommen wie ein klassischer Firmenpatriarch, obwohl er wahrlich nicht alle Tage im dortigen Büro erscheint. Seine öffentliche Zurückhaltung spricht sicher für ihn, auch sein Engagement für die Umwelt und als freigebiger Mäzen. Vor allem aber wissen die Mitarbeiter: Wo immer Haub seine Entscheidungen trifft – er spielt nicht mit ihren Arbeitsplätzen. Vom Einstieg beim maroden A&P abgesehen, bedeuten Übernahmen bei Haub keine Entlassungen. Er eröffnet gern Geschäfte; welche zu schließen, behagt ihm nicht. Wo es nicht gut läuft, widmet er den Laden lieber um, vom Supermarkt zum Discounter etwa. Symbol des familiären Betriebsklimas in Mülheim ist der Sportplatz am Firmensitz, mit dem grünen Vereinshäuschen des „BSV Wissoll“.

Ende der neunziger Jahre wird Erivan Haub in den Wirtschaftsspalten der Zeitungen gerade diese fürsorgliche Haltung zum Vorwurf gemacht. Im Einzelhandel sind die Zeiten schwierig. Manche Beobachter prophezeien der Tengelmann-Gruppe schon das Aus. Erivan Haub räumt öffentlich ein, dass das Unternehmen am Ende wäre, gäbe es nur den Lebensmittelhandel. In einem Interview mit dem „Manager-Magazin“ 1999 präzisiert er: 200 Millionen Mark Miese gebe es allein bei den Supermärkten. Und er gibt zu, dass neben der allgemeinen Flaute, falschen Vorgaben der Regierung und Managementfehlern auch seine Politik der Fürsorge zur Krise beigetragen habe: Es gebe nicht nur zu viele Geschäfte, sondern auch zu viele ältere Mitarbeiter in den höchsten Tarifklassen. Dass das Unternehmen nun stellenweise von dieser Linie abweichen müsse, „tut mir unglaublich weh“, sagt Erivan Haub.

Das neue Klima

Der Firmenchef schießt einen dreistelligen Millionenbetrag aus seinem Privatvermögen zu, um das Unternehmen über die Runden zu bringen. Gleichzeitig beginnt eine Restrukturierung, die Erivan Haub aber weitgehend in die Hände der nächsten Generation legt; 2000 zieht er sich zurück. Es übernehmen die Söhne: Karl-Erivan Haub führt die Geschäfte in Europa, Christian Haub A&P in Amerika, Georg Haub kümmert sich um die Immobilien. 2002 übergibt Haub offiziell die Geschäftsführung an die neue Tengelmann Verwaltungs- und Beteiligungs GmbH mit Karl-Erivan und Christian an der Spitze. Der Vater tritt in den Hintergrund, behält zunächst 50 % des Unternehmens und übernimmt den Vorsitz im Beirat.

Karl-Erivan Haub ist es nun, der in Europa als Sanierer des Unternehmens auftritt und dabei neue Saiten aufzieht, sich von unrentablen Geschäften trennt. Unter anderem wird im Jahr 2003 die Süßwarenherstellung verkauft und das Mülheimer Schokoladenwerk geschlossen. „Wissoll“ existiert nicht mehr. Das stößt in Mülheim auf Kritik, aber der Erfolg gibt dem neuen Chef recht. Mit neuen und straffen Strukturen schafft er Tengelmann schnell aus der Krisenzone, das wird ihm allgemein bescheinigt, obwohl der Prozess noch nicht abgeschlossen ist: Erst in den nächsten Monaten etwa wird sichtbar werden, dass Tengelmann sich weitgehend von „Plus“ getrennt hat. Die meisten Läden werden bald „Netto“ heißen.

Sanierer und Veränderer

Die Rollenverteilung mit Karl-Erivan Haub als Sanierer hat sich früh abgezeichnet, und mancher wollte daraus einen Vater-Sohn-Konflikt lesen. Erivan Haub hat das schon 1999 bestritten: „Mein ältester Sohn und ich kommen glänzend miteinander aus.“ Karl-Erivan Haub hat über seinen Vater gesagt: „Tengelmann ist sein Lebenswerk“, und man kann daraus vielleicht hören, dass der heute 49-jährige Sohn die Sache etwas nüchterner sieht.

Aber er ist nicht bloß Sanierer, der Geschäfte schließt. Auch er setzt auf Expansion, wie sein Vater, vor allem mit der Textilkette KiK und dem Baumarkt OBI. Ein gutes Arbeitsklima für die Mitarbeiter bleibt Programm, und auch das Engagement für die Umwelt setzt Karl-Erivan Haub fort, mit eigenem Akzent: Schwerpunkt ist nun der Klimaschutz. Tengelmann will bis 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen um 20 % senken. In der Mülheimer Wissollstraße, gleich beim Firmensitz, kann man sehen wie es geht: Ein komplett erneuerter Tengelmann-Supermarkt nutzt als „Klimamarkt“ Erdwärme und Sonnenenergie, hat Kühlregale mit Glastüren und verwendet Abwärme der Kältemaschinen zur Heizung. Man kann sich vorstellen, dass Seniorchef Erivan Haub diesen Markt gelegentlich mit Vergnügen inspiziert, wie früher. Dass er dabei nicht erkannt wird, wie früher, ist allerdings unwahrscheinlich. Offenheit hat ihren Preis.