Essen. Haniel? Außerhalb Duisburgs wissen selbst viele Ruhrmenschen nichts mit dem Namen dieser Unternehmerfamilie anzufangen. Dabei war Franz Haniel einer der großen Industriepioniere im Revier.

Alles bleibt in der Familie: Die Firma existiert bis heute – in Familienbesitz. Dass sich gleich über 550 Verwandte den Besitz teilen, mag bei der Bekanntheit ins Gegenteil umschlagen: Man sieht den Wald nicht vor lauter Haniels.

Der erste Haniel hieß Agnus. Wahrscheinlich. Denn ganz gesichert ist die Herkunft des Namens und der Familie nicht. Wahrscheinlich also stammt sie aus Nordfrankreich oder Belgien, wo schon im Mittelalter Familien Agnus oder Agneau hießen, nach dem lateinischen Wort für Lamm. Damals war es üblich, dass Frauen eine weibliche Form des Namens trugen. Bei Agneau war das Agnielle. Hanielle. Haniel. Dieser Name blieb dann, ohne Rücksicht aufs Genus, an ganzen Familien hängen.

Im 16. Jahrhundert verschwanden die Haniels aus Nordfrankreich und Belgien – vermutlich, weil sie sich dem protestantischen Glauben zugewandt hatten. In Deutschland tauchten sie wieder auf – zunächst in Pommern. An die Ruhrmündung kamen Haniels im 18. Jahrhundert. Unter ihnen Jacob Wilhelm Haniel: geboren 1734, nach Duisburg gezogen 1757.

Doch 1756, so will es die offizielle Chronik, wurde in Ruhrort die Firma Haniel gegründet. Wie passt das zusammen? Eigentlich gar nicht, räumt Dr. Bernhard Weber-Brosamer ein, Chef des Haniel-Museums. In Wahrheit wurde 1756 keine Firma gegründet. Vielmehr überließ der preußische Staat einem Ruhrorter Bürger drei Grundstücke per Erbpachtvertrag, und dort ließ der Mann ein Lager- und Wohnhaus bauen, nach holländischer Art „Packhaus“ genannt. Dieser Mann war Jan Willem Noot, Zollbeamter und Zweiter Bürgermeister. In seinem neuen Haus betrieb er ein Lagerhaltungsgeschäft für Kolonialwarenhändler.

Jacob Wilhelm Haniel eröffnete 1757 in Duisburg einen Weinhandel, zusammen mit seinem Schwager, dann mit seinem Bruder Peter Friedrich: Gebrüder Haniel. 1761 heiratete Jacob Wilhelm Haniel die Tochter Jan Wilhelm Noots, Aletta. Und nachdem der Schwiegervater gestorben war, übernahm Haniel das Packhaus und betrieb seine Geschäfte von dort. Dass später der Pachtvertrag von 1756 zur Gründungsurkunde der Firma Haniel umgedeutet wurde, erklärt Museumschef Weber-Brosamer mit der Unterschrift unter dem Dokument: Preußenkönig Friedrich II. hatte allerhöchstselbst unterzeichnet. Das schmückt.

Kohlenhandel

1782 starb Jacob Wilhelm Haniel. Seine Witwe Aletta führte den Ruhrorter Speditionshandel unter der Firma J.W. Haniel sel. Wittib fort. 1790 fügte die Firma ihren Importgeschäften den Export von Ruhrkohle hinzu. Kohlenhandel machte Ruhrort zum zentralen Umschlagplatz und sollte auch für die Firma Haniel jahrelang eine Haupteinnahmequelle werden. Unterstützt wurde Aletta Haniel von ihrem Sohn Wilhelm, der jedoch 1756 nach Duisburg ging. An seine Stelle traten die jüngeren Brüder Gerhard (1774 - 1834) und Franz Haniel (1779 - 1868). 1802 wurden sie Teilhaber; 1809 übernahmen sie das Geschäft ganz.

Gerhard und Franz sind die Ahnherren aller Haniels, die heute Anteile am Unternehmen halten. Beim Aufbau der Firma spielte allerdings Franz, der jüngere, die dominierende Rolle. Er war ein Mann vom Kaliber eines Alfred Krupp oder August Thyssen. Es ist verblüffend, wie viele Dinge der gelernte Kaufmann im Lauf seines Lebens als erster anpackte. Neben Kohlen- sowie Kolonialwarenhandel und seiner Reederei hatte er schon seit 1803 mehr im Sinn. Er kaufte Anteile an einer Zeche in Stiepel und begann, auf die Hüttenwerke der Essener Fürstäbtissin im heutigen Oberhausen „zu reflektieren“.

Es fügte sich, in ganz hanielscher Art, dass Franz‘ Schwester Sophia im Sommer 1800 Gottlob Jacobi heiratete, den die Essener Fürstäbtissin zum Direktor und seit 1799 auch zum Teilhaber ihrer beiden Eisenhütten Neu-Essen und St. Antony gemacht hatte. 1805 konnte Franz Haniel seinen Bruder Gerhard mit einiger Mühe dazu bewegen, dass die beiden gemeinsam die Anteile der Fürstäbtissin an den beiden Hütten erwarben. Den Besitz teilten die frischgebackenen Industriellen nun mit ihrem Schwager Jacobi.

Ein Jahr nach diesem Kraftakt heiratete Franz Haniel und machte eine hervorragende Partie: Friederike Huyssens Vater Arnold war in Essen Ratsherr und Senator, hatte Anteile an mehreren Kohlezechen. Das kam seinem neuen Schwiegersohn sicher nicht ungelegen. Es soll damit nicht behauptet werden, dass Franz Haniel seiner „Fritze“, die er bei einer Tanzveranstaltung in Essen kennen gelernt hatte, nicht innig zugetan gewesen sei. Doch dass sie strategisch zu heiraten wussten, sollten die Haniels noch oft beweisen.

Guter Hoffnung

Bald darauf machten Haniels und der neue Schwager Heinrich Huyssen ein großes Geschäft miteinander. Jacobi hatte vorgeschlagen, zu den beiden Eisenhütten noch die benachbarte dritte zu erwerben, die Hütte Gute Hoffnung. Sie gehörte der Witwe Krupp; ihr Sohn Friedrich hatte als Leiter der Hütte ganz glück- und hoffnungslos agiert. Im September 1808 vereinten die Brüder Haniel und ihre Schwager die drei Eisenhütten als Hüttengewerkschaft Jacobi, Haniel und Huyssen (JHH). Später wurde aus JHH die Gutehoffnungshütte AG alias GHH – was viele Leute anders interpretierten: Gehört Hauptsächlich Haniel.

Als Hüttenbesitzer wiederum interessierte sich Franz Haniel erst recht für Kohlebergbau und besonders für den Ersatz der Holzkohle beim Verhütten durch Steinkohlenkoks. 1821 ließ er auf der Zeche Sälzer und Neuack den ersten geschlossenen Koksofen des Ruhrreviers bauen. Doch der Koks taugte nicht für den Hochofen. 1832 nahm Haniel das Problem anders in Angriff. Bei Borbeck ließ er einen Schacht abteufen, um als ers-ter unter der Mergel-Gesteinsschicht die gut verkokbare Fettkohle zu suchen. Das Unternehmen scheiterte.

Gleichzeitig ließ Haniel den Ausbau seines Handelsgeschäfts und der Reederei keineswegs aus den Augen. Er nahm, je nach Marktlage, immer neue Produkte ins Visier. Betrieb eine Schiffsflotte von 14 Ruhrnachen. Gründete 1829 eine Werft für Dampfschiffe in Ruhrort. Beschäftigte sich mit Eisenbahnplänen. Bruder Gerhard Haniel, so scheint es, ließ es viel ruhiger angehen als der rastlose Franz – und starb dennoch schon 1834. Franz hatte da noch über 30 Jahre vor sich. Er scheint jede Minute genutzt haben.

Heiraten und Todesfälle

In Ruhrort waren die Haniels bekannte und geehrte Leute. Doch sie lebten noch immer im „Packhaus“ am Hafen. Die vielen Schwangerschaften Friederikes und das Schicksal ihrer elf Kinder spiegeln eine fast kleinbürgerliche Realität, mit allen damaligen Gefahren: Zwei Söhne starben gleich nach der Geburt. Eduard, der Erstgeborene, erlag 1826 mit 19 Jahren einem „Nervenfieber“, vermutlich Typhus. Theobald, der achte Sohn, starb mit 27, ebenfalls an „Nervenfieber“. Und Richard, geboren 1826 wenige Wochen vor dem Tod des ersten Kindes, starb schon 1858 an „fliegender Gicht“

Die Heirats-Gewohnheiten der Haniels hatten von Beginn an etwas sehr Zielstrebiges. Jacob Wilhelm hatte sich in das Packhaus eingeheiratet. Seine Tochter gab Hüttendirektor Jacobi ein lukratives Jawort. Und ein Jahr nach Franz‘ Hochzeit mit Friederike Huyssen ehelichte Bruder Gerhard die ältere Schwester seiner Schwägerin und verdoppelte so die Bindung an das Haus Huyssen. Bei den überlebenden Kindern Franz Haniels wurde das Prinzip der strategischen Heirat weiter auf die Spitze getrieben.

Hugo Haniel heiratete 1837 Cousine Bertha, eine Tochter Gerhards – und band so die Familienstämme aneinander. Max nahm Friederike Cockerill zur Frau, was die Konkurrenz zur belgischen Firma Cockerill entschärfte. Julius heiratete in die Saar-Industrie, Louis in eine Krefelder Fabrikantenfa-milie. Friedrich Wilhelm nahm Julie Liebrecht, Tochter eines Ruhrorter Reeders und Zechenbesitzers. Richard war im Begriff, die familieninternen Bande zu stärken und eine Tochter seines Bruders Hugo zu heiraten, als er starb. Thusnelde verdoppelte die Cockerill-Connection mit einem Bruder von Max Haniels Frau.

Der rastlose Pionier

Franz Haniel reihte derweil Pioniertat an Pioniertat. 1836 entstanden auf der Hütte eine Betriebskrankenkasse und eine der ersten Werkssparkassen Deutschlands. Die JHH-Werft lieferte den ersten eisernen Rhein-Raddampfer. Auf der Zeche Schölerpad konnte Haniel erstmals hochofentauglichen Koks produzieren. „Kronprinz“ wurde zur ersten fördernden Mergelzeche des Reviers – wenngleich sich keine Kokskohle fand. Von 1844 an wurde für JHH-Arbeiter „Eisenheim“ gebaut – erste Arbeitersiedlung des Ruhrgebiets.

1844/45 begann die Produktion von Material für die neue Köln-Mindener Eisenbahn. Die verlief – nicht zuletzt auf Haniels Drängen – durchs Emschertal und direkt an der Hütte vorbei. Deren Anschlussgleis war vermutlich die erste Industriebahn Deutschlands. Und wie sich alles fügt: Nah an der neuen Bahn gründete Haniel auch die Zeche Zollverein.

1845 baute die JHH-Werft den ersten Schleppdampfer für den Rhein. Auf einer Haniel-Zeche entstand die erste Koksofenbatterie des Ruhrgebiets, auf Zollverein die erste Doppelschachtanlage. 1851 schickte Haniel sich als erster an, Kohle auf der linken Rheinseite abzubauen. Zeche „Oberhausen“ der JHH war die erste Hüttenzeche des Ruhrgebiets, und 1855 wurde bei JHH der erste Hochofen mit Steinkohlenkoks angeblasen – endlich.

Im Dezember 1867 starb Friederike Haniel. Wie alle wichtigen familiären Ereignisse seit seiner Hochzeit notierte Franz Haniel den Tod seiner „Fritze“ in einem kleinen Taschenkalender. Es ist seine letzte Eintragung. Vier Monate später, im April 1868, starb Franz Haniel selbst mit 89 Jahren in seinem Ruhrorter Haus. Der preußische König und spätere Kaiser sowie die Königin sandten den Haniels freundliche Beileidstelegramme; sie hatten schon zuvor das Befinden des Firmenchefs mit warmer Anteilnahme begleitet.

Das war insofern bemerkenswert, als Franz Haniel nicht nur fürsorglicher Patriarch für seine Arbeiter und großzügiger, sozial engagierter Mäzen seiner Heimatstadt war, sondern auch politisch mit den Fortschrittlern, den Liberalen sympathisierte. Das war ungewöhnlich für einen Ruhr-Industriellen und wurde auch von der regionalen Obrigkeit mit Stirnrunzeln vermerkt. Das königliche Paar, dem man zweifellos von Haniels Unbotmäßigkeit berichtet hatte, zeigte Größe und tolerierte Haniels politische Abweichungen.

Manager kommen

Hugo Haniel (1810 - 1893) trat in seines Vaters Fußstapfen: bei der Ruhrorter Firma Franz Haniel, bei den hanielschen Zechen und der Hütte. In gewissem Maß gilt das auch noch für Hugos Sohn Franz Haniel (1842 -1916). Doch die dominierende Präsenz des alten Franz hatten beide schon nicht mehr. Das lag sicher nicht zuletzt an der rasch wachsenden Zahl von beteiligten Haniels. Strukturelle Veränderungen wiesen in dieselbe Richtung. Die Gründung der GHH AG 1873 war ein erster Schritt, der den schwindenden direkten Einfluss der Familie aufs laufende Geschäft und die wachsende Rolle angestellter Manager vorbereitete.

Personifiziert hat die neue Managerklasse Paul Reusch, Vorstandsvorsitzender der GHH von 1908 bis 1942. Er war es, der GHH zum Maschinenbaukonzern ausbaute und die MAN übernahm. Er war es, der später in einem Atemzug genannt werden würde mit Männern wie Krupp oder Thyssen. Und wie manch anderer Ruhr-Manager begründete auch Reusch eine (kurzlebige) Dynastie: Sein Sohn war wiederum Vorstandschef (1947 - 1966) der GHH.

Paul Reusch hatte auch bei der Firma Franz Haniel großen Einfluss und war maßgeblich an einer Neustrukturierung beteiligt, die das Unternehmen bis heute prägt: 1917 wurde die Franz Haniel & Cie GmbH gegründet, deren Gesellschafter die Haniel-Zechen und die GHH waren. Die Geschäfte führte ein angestellter Generaldirektor; die besitzende Familie hatte mit dem Management nichts mehr zu tun und war damit auch nicht mehr an das Ruhrgebiet gebunden.

Es blieb nun dabei, dass verschiedene Haniels zu verschiedenen Zeiten Aufsichtsratsposten in ihren Unternehmen bekleideten, ohne besondere Prominenz zu erlangen. Prunk und Selbstdarstellung gehörten nicht zum Stil der Haniels; von Skandalen und Affären war nie etwas zu hören. In gewisser Weise herausragend war Karl Haniel. Er ließ für seine Familie 1928 im bergischen Dabringhausen ein riesiges Haus bauen, das dort als „Schloss Haniel“ bekannt wurde und illustren Gästen aus Wirtschaft und Adel jeglichen Komfort bot. Karl Haniel schien nun, was das große Haus betrifft, mit Krupps und Thyssens gleichgezogen zu haben. Doch schon 1934 verließ er das Schloss wieder. In der Familie heißt es heute, der Palast sei wohl doch eine Nummer zu groß gewesen.

Karl Haniel hatte allerdings 1934 auch andere Gründe, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Seine Frau Edith, geborene Schleicher, mochte die Idee vom „Schloss“ überhaupt aufgebracht haben, denn ihr Vater, Nadelfabrikant in der Eifel, hatte dort schon Jahre zuvor ein altes Schloss gekauft. Den Nazis aber galt Edith Haniel wegen jüdischer Vorfahren als „nicht arisch“. Damit waren diese Haniels gesellschaftlich erledigt. Ihr Schloss übernahmen erst die Nazis und nach dem Krieg die katholische Kirche. Nach einem Brand 1971wurde es in veränderter Form wieder aufgebaut.

Konflikt mit den Nazis

Karl Haniel blieb bis zu seinem Tod 1944 Aufsichtsratsvorsitzender der GHH und Vorsitzender des Industrieclubs Düsseldorf. Zusammen mit Manager Reusch war Haniel in jene Vorgänge 1932/33 verwickelt, die zum simplen Klischee von den schwerin-dustriellen Hitler-Förderern führten. Tatsächlich zählten Reusch und Haniel zu jenen, die das autoritäre Regime Franz von Papens stützten. Reusch scheint mehr als Haniel Papens Vorstellung geteilt zu haben, dass man diesen Hitler und seine „Bewegung“ einbinden sollte. Lang dauerte das nicht. 1942 musste Reusch seine Funktionen bei GHH aufgeben; später pflegte er Kontakte zum konservativen Widerstand um Carl Goerdeler.

Die Haniels insgesamt hielten Distanz zu den Nazis. Die Leitung der Firma Franz Haniel hatten die gut protestantischen Haniels schon 1917 Johann W. Welker überlassen, einem praktizierenden Katholiken, der bis 1944 Generaldirektor blieb und das Unternehmen so nazifrei hielt wie möglich. Sein Nachfolger musste sich sogar wegen Kontakten zu den Verschwörern des 20. Juli vor der Polizei verstecken. Die Haniels hatten angesichts ihrer Haltung nach dem Krieg keine besonderen Probleme, auf ihren Besitz zuzugreifen – wenn man von den üblichen „Entflechtungsmaßnahmen“ der Alliierten absieht.

Von 1960 an nahm die Familie sogar noch direkteren Einfluss auf ihren Besitz, ohne Zwischenschaltung der Zechen und der GHH. Mehr denn je war Haniel nun ein Familiengeschäft – allerdings ohne Haniels im Management oder in anderer Angestellten-Funktion. Nicht einmal Praktikant kann ein Haniel bei Haniel sein – wobei es übrigens längst eine Menge Familienmitglieder gibt, die anders heißen und dennoch Haniels sind.

Haniel – das war bis in die sechziger Jahre hinein vor allem eine Mischung aus dem Stahl- und Maschinenbaukonzern GHH und seinen Abkömmlingen, aus Kohlenzechen, Brennstoffhandel, Reederei und Schiffbau. Dann begann sich das Bild zu wandeln. Die Zeche Zollverein hatte man schon in den zwanziger Jahren verkauft, aus Furcht vor Verstaatlichung; 1959 kam auch die Trennung von der Zeche Rheinpreußen. Bei der GHH kamen mehr Fremdaktionäre ins Spiel, und die Familie trennte sich schließlich ganz vom alten Hütten-Komplex. Der Handel wandte sich von der Kohle, dann von Brennstoffen überhaupt ab.

Ein neuer Konzern

Ein internes Gutachten stellte schon 1963 fest, dass auch die Reederei kein dauerhaft profitables Geschäft mehr sei. Mehr als alles andere aber waren die Schiffe der Rheinflotte Imageträger der Firma, und so betrieb man sie weiter – wie zuvor mit vollem Engagement. Haniel hatte Dampfschlepper am Rhein etabliert, Haniel hatte die ersten Dieselschlepper eingeführt: „Was der Haniel XXVIII nicht zieht, zieht keiner“, hieß es. Haniel war vorangegangen bei der Umrüstung von Schleppkähnen zu Gütermotorschiffen, und Haniel war nun auch Schrittmacher bei den Schubverbänden. Dennoch trennte sich die Firma 2002 endgültig von ihren Rheinschiffen und damit vom letzten traditionellen Geschäftszweig.

Neue Geschäftsfelder wa-ren zunächst Baustoffe, dann Pharmahandel und der über-aus lukrative Einstieg in die Metro-Großmärkte, finanziert durch den zeitigen Verkauf der Montaninteressen. Waschraumartikel, Berufskleidung und Büroausrüstung folgten. Bei der Erneuerung des „Portfolios“ innerhalb ihrer Holding sind die Haniels mittlerweile sprichwörtlich flexibel und ohne Sentimentalitäten – was nicht heißt, dass sie ihre Unternehmen ausplünderten: Die beträchtlichen Gewinne werden zu drei Vierteln im Untenehmen gelassen, und gegenüber weltweit über 55.000 Mitarbeitern gibt sich die Familie nicht weniger verantwortungsvoll als der alte Franz Haniel. Nur sind eben emotionsträchtige Felder wie Stahl, Bergbau und Schifffahrt längst sehr nüchternem Business gewichen.

Der Name Haniel ist auch in den letzten paar Jahren bewusst nur mehr für die Holding genutzt worden, nicht für eines der Unternehmen oder für Produkte und Dienstleistungen. Das trägt erst recht zur relativen Unbekanntheit der Familie und ihres Gesamtunternehmens bei – was den als überaus verschwiegen geltenden Haniels nur recht ist. Gerade erst haben sie sich wieder, wie jeden Mai, in der Ruhrorter Zentrale zur Gesellschafterversammlung getroffen. Wie immer geschah das weitgehend unbemerkt, obwohl Gesellschaftsreporter unter Hunderten Haniels sicher ein paar lohnende Objekte finden würden.

Immerhin: Neben Eckard Cordes, seit 2006 viel beachteter, weil auf robuste Art Veränderungen vorantreibender Vorstandsvorsitzender der Franz Haniel & Cie., gibt es auch wieder einen Franz (Markus) Haniel als Aufsichtsratsvorsitzenden, dessen Ansichten zur Ausrichtung des Konzerns zumindest der Wirtschaftspresse durchaus zur Kenntnis gelangen und dort auch wahrgenommen werden.

Was nichts daran ändert, dass auch dieser Haniel für bunte Blätter wenig ergiebig ist. Er pflegt, wie alle anderen Familienmitglieder, das Prinzip „Geld verdienen und schweigen“. Angesichts der Ergebnisse – 2007 fast 1 Milliarde Euro Gewinn nach Steuern, bei 29 Mrd. Umsatz – dürften sie mit einem sehr angenehmen Gefühl auf ihre Unternehmen blicken, einem Gefühl, das sich nicht mehr mit den Buchstaben GHH zusammenfassen lässt, sondern mit GAH: Gehört Alles Haniel.

// Erschienen in Ruhr Revue 03 / 2008