Essen. . Szenisch rückwärtsgewandt, musikalisch immerhin weitgehend Feinkost für Belcanto-Freunde. Am Samstag gab es im Aalto eine neue „Norma“.

Norma ist auch 185 Jahre nach der Uraufführung an der Mailänder Scala eine Ikone der italienischen Belcanto-Oper. Das gilt namentlich für die halsbrecherische Titelpartie der Druidenpriesterin, mit deren Gestaltung Primadonnen des 19. Jahrhunderts bis hin zu Maria Callas in den 50er und 60er Jahren Maßstäbe setzten.

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Darüberhinaus gehört Vincenzo Bellinis Meisterwerk auch zu den auf Opernbühne nie ganz verschwundenen Klassikern der frühen Romantik, deren „Story“ – im Gegensatz zu manchen kruden Libretti dieser Zeit – auch aus heutiger Sicht Potenzial für spannende Regieansätze bietet. Diese Chance auf einen individuellen Zugriff hat das Regieteam Imogen Kogge und Tobias Hoheisel am Essener Aalto-Theater leider nicht ergriffen. Überraschend gerade bei Kogge, einer mit allen Regietheater-Wasser gewaschenen Schauspielerin.

In der ersten Inszenierung dieses Werks seit Jahrzehnten an der Essener Oper – zuletzt gab es vor gut 15 Jahren im Aalto-Theater eine konzertante Aufführung mit der hochdramatischen Luana DeVol als Norma-Überraschung – beherrscht eine szenische Rückwärtsgewandtheit die Bühne, die spätestens seit den 70er Jahren als abgestanden gelten darf.

Lichtspiele im Heiligen Hain

Dabei enthält die Geschichte um die gallische Priesterin, die sich gegen alle herrschenden Religions- und Stammesregeln mit einem römischen Besatzer einlässt (dem Vater ihrer verbotenerweise gezeugten Kinder), genug gesellschaftlichen Sprengstoff: Widerstand gegen Fremdherrschaft, die Frau als Objekt wankelmütiger Begierde, denn der Römer bezirzt bald eine jüngere aus Normas Keuschheitszirkel, Fremdheit im eigenen unterdrückenden Kulturkreis, Opferwahn, Mord bis zur alleinerziehenden, überforderten Mutter...

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In den halbkreisförmigen Bühnenaufbauten, die mittels Drehbühne den heiligen Hain der Gallier und die private Sphäre Normas hübsch beleuchtet im Wechsel zeigen, findet außer einem Arrangement der Chöre und der Protagonisten in Hoheisels mittelalterlich (?) inspirierten Fantasiekostümen - von alldem eigentlich nichts statt.

Innige Farbigkeit

So bleibt man angewiesen auf die Kraft der Musik: Bellinis große, lyrisch-melodienselige Bögen in Arien und Ensembles, markige Chorszenen, wie der einst das empfindsame Publikum verschreckenden „Guerra“-Chor der Gallier (Chor: Jens Bingert) und nicht zuletzt auch der „Hit“ der Oper „Casta diva“. Den leitet Katia Pellegrino mit dem Rezitativ „Sediziose voci“ zunächst trocken-metallisch ein. Spätestens in Cavatine und Kabaletta zeigt sich ihr durchschlagender Sopran nicht nur von dramatisch-agiler Seite. Auch den lyrischen Zwischentönen verleiht sie innige Farbigkeit und eine Individualität, mit der sie die Ensembles mit dem samtig-dunklen Mezzo des neuen Ensemblemitglieds Bettina Ranch als Adalgisa adelt.

Überhaupt sind die Duette und Terzette die Höhepunkte des von Giacomo Sagripanti am Pult der Essener Philharmoniker differenziert dirigierten Abends. Mit Gianluca Terranova hat das Haus einen Gast-Pollione, der nicht nur die trompetenhaften Stentortöne seiner Auftrittsarie mannhaft ins Publikum schickt. Im Mezzavoce und als Ensemblepartner zeigt er sich flexibel und biegsam, wo Insung Sim als Oroveso mit sattem Volumen glänzt.

Und Albrecht Kludszuweit – leider zu selten in größeren Partien zuhören – überzeugt in der kleinen Partie des Flavio mit strahlendem Tenor. Eine Abend der durchaus konzertanten Meriten.

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Die nächsten Aufführungen von Bellinis „Norma“ am Essener Aalto-Theater sind am 12., 14., 16. (18 Uhr), 22. & 27. Oktober, jeweils 19.30 Uhr, sowie am 1., 9. und 13. (16.30 Uhr) November und am 12. Januar.

Karten: 0201/81 22 200 www.aalto-musiktheater.de