Mülheim. . Der gesellschaftliche Auftrag wird ernstgenommen – zugleich ist es spannendes Theater. Die „Impulse“ können sich im 25. Jahr wirklich sehen lassen.

„Wenn ihr öfter kommt, sage ich das noch ab und mache euch euer Theaterstück kaputt.“ Es ist ein brutal berührender Satz in einem der radikalsten Dokumentartheater, das am Eröffnungswochenende des "Impulse"-Theaterfestivals zu sehen war. Margot spricht ihn. Sie ist 81, leidet seit Jahren unter Schmerzen und „das“ ist der begleitete Suizid in der Schweiz. Wenn die Zuschauer Margots Satz hören und diese strahlende Frau im Video sehen, ist sie bereits tot.

Margot (81) als posthume Protagonistin

Die Theatermacher Markus&Markus waren im April 2014 während ihrer letzten Tage bei ihr, haben sie interviewt, gefilmt, mit ihr Sangria gemacht, die Osterdeko aufgestellt und eine Abschiedsparty organisiert. Weil Markus&Markus auf der Bühne keinen Schauspieler mehr sehen wollen, der so tut als wolle er sterben, widmen sie sich einer echten Sterbewilligen. Sie dokumentieren. Und sie flüchten sich in die Kunst, spielen Freitode nach aus Oper und Literatur, grölen Queens „Who wants to live forever“ und tanzen unbeholfen eine Art Pas de deux aus einem Ballett, das Margot gerne noch im Fernsehen gesehen hätte. Persönliche Betroffenheit und reflektierende Distanz greifen so nahtlos ineinander, das einem mulmig wird. „Ibsen: Gespenster“ ist aufwühlend und überwältigend, komisch und unendlich traurig. So nah kann einem Theater kommen, das über ein gesellschaftlich relevantes Thema nachdenkt.

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Und es ist eine Arbeit, die widerspiegelt, was Florian Malzacher, seit 2013 Leiter des bedeutenden Festivals der Freien Szene, für die ausgewählten Arbeiten der aktuellen Festivalausgabe deklamierte: Dass sie sich unmittelbar in gesellschaftliche Prozesse einmischen. „Gesellschaftsspiele“ heißt entsprechend das diesjährige Motto.

Alle Beiträge setzen einen verbindenden Link zwischen konkrete Situation und abstrakte Ebene. Mal mit weiterem Blick auf nationale Identitäten und Kontinente wie in Gintersdorfer/Klaßens „Das neue schwarze Denken – Chefferie“, mal selbstbezogener wie in Gob Squads „Western Society“.

Youtube wird zum Theatermaterial

Das Performance-Kollektiv schnappt sich ein dreiminütiges Youtube-Video über einen Familien-Karaokeabend in Kalifornien und leitet daraus Spielregeln unserer nicht funktionierenden westlichen Gesellschaft ab. Da wird das entscheidungsbefugte Fernbedienungskind aus dem Wohnzimmer kurzgeschlossen mit dem Patriarchat und der Rollentausch zum Selbstfindungstrip. Selbst das Publikum muss ran. Das bremst diese lustvolle Bildbearbeitung im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit allerdings ziemlich aus.

25 Jahre gibt es die „Impulse“

Das Festival Impulse ist 25 Jahre alt. Zum ersten Mal gibt es in diesem Jahr einen Hauptspielort, der Mülheimer Ringlokschuppen ist noch bis 20. Juni Zentrum. In der Vergangenheit war es ein logistischer Kraftakt, die vier beteiligten Städte Mülheim, Düsseldorf, Köln und Bochum (musste aus finanziellen Gründen aussteigen), zu verbinden.

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Die Konzentration auf einen Ort tut dem Festival gut, es zerfasert weniger. Eine geballte Ladung diskussionswürdiger Inszenierungen und eine Vielfalt an künstlerischen Ansätzen lassen Impulse auch weiterhin wichtiges Aushängeschild für NRW bleiben.

UND SO GEHT ES WEITER

Anonymous P.“ von Chris Kondek und Christiane Kühl (18. und 19. Juni), „Sounds like war: Kriegserklärung“ von andcompany&Co. (18., 19., 20.), „The Civil Wars“ von Milo Rau (19. und 20.)

„Riding on a cloud“ von Rabih Mroué (19. und 20.), „Der Ur-Fort“ von Hendrik Quast (20.). Karten: Tel. 0208/99316-77 oder www.festivalimpulse.de