Weimar. Nach neuesten Zahlen werden jährlich etwa 175.000 Patienten in deutschen Krankenhäusern wegen einer Blutvergiftung behandelt. Die Krankenhaussterblichkeit ist bei der Infektion laut dem Mediziner Frank Brunkhorst hoch. In einem Interview nimmt der Intensivmediziner Stellung zu dem Problem und spricht über Auswege.

Mehr als 50.000 Menschen starben 2011 in deutschen Krankenhäusern an einer Sepsis. Die umgangssprachlich Blutvergiftung genannte Erkrankung ist häufig Folge von Lungenentzündungen oder Infektionen nach Operationen. «Zwei Drittel der Betroffenen erwerben die Sepsis durch eine Infektion im Krankenhaus», sagte der Jenaer Intensivmediziner Frank Brunkhorst im Interview.

Laut einer Studie ließe sich ein großer Teil durch eine konsequentere Handdesinfektion in den Kliniken vermeiden. Auf einem Kongress (4. bis 6. September) der Deutschen Sepsis-Gesellschaft und des Jenaer Universitätsklinikums beraten rund 1000 Experten in Weimar, wie die Überlebenschancen solcher Patienten verbessert werden können.

Die Sepsis gilt als eine der häufigsten Todesursachen, auch Frühchen sind häufig betroffen. Wie hoch sind die Zahlen genau?

Frank Brunkhorst: Dazu gibt es neue Daten aus dem Jahr 2011. Demnach gab es 175.000 Sepsis-Fälle in deutschen Krankenhäusern. Bei 69.000 davon handelte es sich um eine schwere Sepsis, bei 19.000 um einen septischen Schock. Die Krankenhaussterblichkeit ist alarmierend hoch, sie lag bei 28,6 Prozent. Das sind 50.100 Todesfälle im Jahr. Bei schwerer Sepsis und septischem Schock ist die Krankenhaussterblichkeit deutlich höher, nämlich über 40 Prozent. Die direkten Kosten für das deutsche Gesundheitssystem belaufen sich für Erwachsene über 20 Jahre auf jährlich rund 3,8 Milliarden Euro.

Wenn jemand nach der Entlassung aus dem Krankenhaus an den Folgen einer Sepsis stirbt, ist er aber in diesen Zahlen nicht enthalten?

Brunkhorst: Das ist richtig. Dazu gibt es überhaupt keine bundesweiten Daten. Wir wissen aber, dass die Sterblichkeit nach der Entlassung aus dem Krankenhaus noch einmal zunimmt. Hier in Jena haben wir am Universitätsklinikum ein Zentrum für Sepsis und Sepsisfolgen mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ein Register eingeführt. Das ist bisher in Deutschland einmalig. Daher wissen wir, dass zwölf Monate nach einer solchen Infektion nur einer von drei Patienten überlebt hat.

Ein Großteil der Patienten infiziert sich erst im Krankenhaus. Gibt es an deutschen Krankenhäusern ein Hygieneproblem?

Brunkhorst: Zwei Drittel der Betroffenen erwerben die Sepsis durch eine Infektion im Krankenhaus. Die Patienten, die ins Krankenhaus kommen, sind in der Regel schwer krank, haben eine geschwächte Immunabwehr und sind deswegen besonders empfänglich für Infektionen. Der Patient infiziert sich häufig mit seinen eigenen Keimen, die er mitbringt auf seinem Körper oder Schleimhäuten, etwa weil er große Wundflächen hat. Das lässt sich nicht immer verhindern.

Dennoch lässt sich die Zahl der Sepsis-Fälle durch verbesserte Hygiene in den Kliniken verringern.

Brunkhorst: Die übertragbaren Infektionen von Personal auf Patient oder von Besucher auf Patient sind vermeidbar. Das sind ungefähr 20 Prozent. Da steckt großes Präventionspotenzial. In einer Studie des Zentrums für Sepsis und Sepsisfolgen haben wir krankenhausweit die Infektionsraten systematisch erfasst und wollen sie nun um diese 20 Prozent reduzieren. Ein entscheidender Punkt ist die Handdesinfektion, die in Deutschland nicht ideal ist. Von 100 Momenten, wo man sich die Hände desinfizieren müsste, werden 20 bis 40 eingehalten; wenn man gut ist, sind es 60. Das muss man angehen - schauen, ob der Spender am richtigen Fleck steht, und das Personal trainieren.

Es gibt zig verscheidene Erreger 

Was sind aus Ihrer Sicht weitere erfolgversprechende Wege im Kampf gegen die Sepsis?

Brunkhorst: Ich sehe das größte Potenzial in der Prävention und der Früherkennung. Es gibt nicht die eine Sepsistherapie, weil es zig verschiedene Erreger gibt, die ganz unterschiedlich aggressiv sind und zudem die Patienten ganz unterschiedliche Vorerkrankungen haben. Wir haben auch festgestellt, dass bei Patienten mit schwerer Sepsis in den vergangenen Jahren wahrscheinlich Fehler bei der Dosierung von Antibiotika gemacht wurden. Die neue Studienlage zeigt, dass bei 20 bis 30 Prozent dieser Patienten Antibiotika doppelt, drei- oder vierfach höher gegeben werden müssen als vom Hersteller geprüft. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass Sepsispatienten die Wirkstoffe häufig schneller über die Nieren ausscheiden. Hierzu sind dringend klinische Studien erforderlich, eventuell lassen sich dadurch die Überlebensraten deutlich verbessern.

Empfohlen wird auch die Impfung gegen Pneumokokken.

Brunkhorst: Viele Sepsis-Fälle sind Folgen von Lungenentzündungen und davor schützt die Pneumokokken-Impfung. Vor einigen Wochen ist ein verbesserter Impfstoff, den es schon seit einigen Jahren für Kinder gibt, für Erwachsene zugelassen worden. Der ist enorm effektiv. Seitdem ist die Rate an Pneumokokken-Infektionen bei Kindern rasant gesunken. Außer für Kinder wird die Impfung empfohlen für Bürger über 60 Jahre und Vorerkrankte.

Bekanntlich sinkt die Überlebenschance, je später eine Sepsis erkannt wird. Warum passiert das oft immer noch erst sehr spät?

Brunkhorst: Eine Sepsis zu erkennen ist nicht einfach, weil die ersten Anzeichen einer schweren Grippe ähneln. Für einen Arzt, der nicht ständig damit zu tun hat, ist das schwierig. Im Krankenhaus kommt es zwar auch mal vor, dass eine Sepsis verschlafen wird, die größten Lücken gibt es aber im ambulanten Bereich. Da muss die Ausbildung der Mediziner verbessert werden.(dpa)