Berlin. . Kinder und Jugendliche bekommen zu viele Arzneimittel mit gefährlichen Auswirkungen und ohne klaren medizinischen Grund. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Arzneimittelreport der Krankenkasse Barmer GEK. Dem Report zufolge stiegen die Verschreibungen von Psycho-Pillen (Antipsychotika) bei Kindern und Jugendlichen von 2005 bis 2012 um 41 Prozent.
Immer mehr Kinder und Jugendliche schlucken Psychopillen, und das ohne ersichtlichen medizinischen Grund. Zu diesem Schluss kommt der gestern vorgestellte Arzneimittelreport der Barmer GEK. Demnach ist die Zahl der Verschreibungen von Antipsychotika, also Neuroleptika, zwischen 2005 und 2012 um 41 Prozent gestiegen. Ein deutliches Plus gab es vor allem bei den Verordnungen für Zehn- bis 14-Jährige.
Dies sei eine „besorgniserregende“ Entwicklung. Denn eine medizinische Erklärung dafür lasse sich „nicht direkt herleiten“, so der Gesundheitsökonom und Autor der Studie, Gerd Glaeske. Weder zeigten Studien einen Anstieg psychiatrischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen, noch hätten sich die relevanten Therapieempfehlungen geändert.
Pille spart Zeit
Eine Ursache für die vermehrte Verordnung könne darin liegen, „dass eine medikamentöse Behandlung zeitsparender ist als beispielsweise das Warten auf einen (…) Psychotherapieplatz“, so der Bericht.
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„Die Hemmschwelle zur Verordnung von Antipsychotika bei Heranwachsenden ist gesunken“, sagte Tom Bschor von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft der WAZ und warnte vor einer zu häufigen Vergabe an Kinder und Jugendliche. Den Anstieg begründete er mit mehr Verschreibungen für Erwachsene, einer damit steigenden Vertrautheit der Mediziner mit Neuroleptika sowie massiver Werbung durch die Pharmaindustrie.
Hoher Leistungsdruck
Maik Herberhold vom Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie vermutet hinter der Zunahme auch einen einfachen Grund: „Man schaut heute genauer hin“, sagte Herberhold. Etwa bei autistischen Kindern. Insgesamt aber, so sein Eindruck, kämen heute mehr Kinder mit psychischen Problemen in die Praxen, beispielsweise wegen des immer stärker werdenden Leistungsdrucks.
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Neuroleptika bekommen Heranwachsende laut Barmer GEK vor allem bei hyperkinetischen Störungen, darunter ADHS, bei Störungen des Sozialverhaltens, Depressionen und Angstzuständen. Glaeske kritisierte, dass die Präparate oft falsch eingesetzt würden und zielte dabei auf ADHS ab. „Das ist definitiv keine adäquate Behandlung“, gab ihm Bschor Recht. Damit würden die Kinder nur „ruhiggestellt“. Aus Glaeskes Sicht ist das heikel, weil Neuroleptika teils gravierende Nebenwirkungen hätten.