Essen. Viele Ältere sind einsam. Weil niemand mit ihnen isst, haben sie wenig Appetit und Durst. Experten warnen: Langfristig drohen dadurch Muskelabbau und Schwächezustände. Zwei von drei Altenheimbewohnern sind von Mangelernährung betroffen oder bedroht.

Die Symptome werden häufig übersehen, weil sie schleichend kommen. Wenn Senioren ungewollt ihr Gewicht verlieren, sollten Angehörige, Pflegekräfte und der betreuende Arzt unbedingt eingreifen. "Mangelernährung ist ein großes Problem vor allem bei Menschen über 80 Jahre", sagt Professor Dorothee Volkert, Ernährungswissenschaftlerin an der Universität Erlangen-Nürnberg.

"Je schlechter der Gesundheitszustand, desto häufiger ist sie anzutreffen." Mangelernährung gilt als eine der häufigsten und am wenigsten beachteten Krankheiten im Alter. Schätzungen besagen, dass sich von den 19,4 Millionen über 60-Jährigen in Deutschland rund 1,6 Millionen chronisch mangelhaft ernähren. 1,3 Millionen von ihnen leben zuhause und 330.000 in Pflegeheimen. "Es ist ein Irrtum zu glauben, dass ältere Menschen deutlich weniger Nährstoffe benötigen als jüngere", sagt Professor Volkert.

Senioren brauchen zwar wegen nachlassender körperlicher Aktivität weniger Energie, der tägliche Bedarf an Eiweiß, Vitaminen und Mineralstoffen nimmt jedoch nicht ab. Bei dem für die Knochen wichtigen Vitamin D brauchen ältere Menschen sogar doppelt so viel wie jüngere. In Kliniken, Altenheimen, in der ambulanten Versorgung und auch im eigenen Zuhause wird dem Problem der Mangelernährung nach Untersuchungen von Experten zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Nach dem neuesten Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sind zwei Drittel der Bewohner von Altenheimen von Mangelernährung betroffen oder gefährdet. Jeder zweite Krankenhauspatient über 75 Jahre ist bei der Aufnahme in die Klinik mangelernährt. Häufig verschlechtert sich der Zustand den Experten zufolge im Verlauf der Krankheit weiter. Die Folgen von chronischer Mangelernährung sind nach Angaben der Deutschen Seniorenliga (DSL) gravierend.

Langfristige Schäden drohen

Wird der Körper nicht ausreichend mit Energie, Eiweißen und lebensnotwendigen Nährstoffen versorgt, drohen langfristig Muskelabbau und Schwächezustände, warnt Professor Volkert. Das Risiko von Stürzen und Knochenbrüchen steigt. Zur körperlichen Schwäche kommen ein verstärkter Abbau der geistigen Fähigkeiten, Depressionen, Demenz und eine größere Pflegebedürftigkeit hinzu. Fehlende Nährstoffe und Proteine wirken sich negativ auf den Hirnstoffwechsel aus. Die Anfälligkeit für Infektionen steigt. "Viele dieser Symptome werden als gewöhnliche Alterserscheinungen verkannt", sagt Erhard Hackler, geschäftsführender Vorstand der DSL.

Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass ältere Menschen über Monate oder sogar Jahre hinweg zu wenige Nährstoffe zu sich nehmen. Ein verändertes Geschmacksempfinden im Alter, Appetitlosigkeit und nachlassendes Durstempfinden gehören dazu. Jeder Fünfte der über 55-Jährigen ist nach DSL-Angaben von Kau- und Schluckbeschwerden betroffen. "Statt Obst und Vollkornprodukte kommen nur zerkochtes Gemüse und Pudding auf den Tisch", sagt Hackler. Schmerzen, Krankheiten und die Nebenwirkung von Medikamenten können das Hungergefühl beeinflussen. Hinzu kommen geistige Beeinträchtigungen wie Vergesslichkeit, fehlende Motivation zum Essen und Depressionen. Appetitzügler sind auch Einsamkeit und Armut.

Worauf Betroffene achten sollten

Deutliches Zeichen einer anhaltenden Mangelernährung ist eine unbeabsichtigte Gewichtsabnahme. Ein bis zwei Prozent Gewichtsabnahme in der Woche, fünf Prozent im Monat und zehn Prozent in einem halben Jahr deuten nach Angaben des Gesundheitsamtes Bremen auf Ernährungsprobleme hin. "Wenn die Krankheit frühzeitig erkannt wird, sind die gesundheitlichen Folgen noch abzuwenden", so Volkert. Erste Anzeichen wie auffällige Änderungen des Essverhaltens, Hautveränderungen, Mundtrockenheit und Schwäche sollten deshalb ernst genommen werden.

Wichtigste und einfachste Maßnahme ist das regelmäßige Wiegen, rät die Ernährungsexpertin. Ärzte sollten bei jeder Kontrolluntersuchung von älteren Patienten den Ernährungszustand erfassen. Dazu gehört auch die Messung der Hautfaltendicke sowie des Umfangs von Oberarm und Waden. Zudem sollten die Blutwerte für Proteine, Mineralstoffe und Vitamine ermittelt werden. Bei Verdacht auf Mangelernährung müsse ein Ernährungstagebuch und ein Trinkprotokoll geführt werden.

Die Behandlung beginnt mit einem auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten ausgerichteten Therapieplan, der die Ursachen der Mangelernährung beseitigt und die Defizite ausgleicht. Notfalls muss die Therapie durch nährstoffreiche Trink- und Sondennahrung ergänzt werden. (dapd)