Washington/Genf. Bislang sind weltweit zwölf Krankheitsfälle mit dem neuen Coronavirus bekannt - vielleicht nur die Spitze des Eisbergs? Forscher haben im Labor beobachtet, dass der gefährliche Erreger ähnlich wie Erkältungsviren die Immunabwehr des Menschen umgehen kann. Die WHO mahnt zur Vorsicht.
Das neue gefährliche Coronavirus kann die Immunabwehr in den Atemwegen des Menschen ähnlich leicht umgehen wie bestimmte Erkältungs- oder Sars-Viren. Zu diesem Schluss kommen internationale Wissenschaftler um ein Team vom Kantonspital in St. Gallen (Schweiz) nach Laborversuchen.
Die Experten berichten im Online-Journal "mBio®"der Amerikanischen Gesellschaft für Mikrobiologie (ASM) auch, dass Patienten womöglich mit einer Immuntherapie behandelt werden könnten.
Das Virus war erstmals im vergangenen Juni bei einem Mann aus Saudi-Arabien aufgefallen, der an einer schweren Atemwegsinfektion und Nierenversagen starb. Bislang sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) insgesamt zwölf Krankheitsfälle bekannt geworden, fünf Menschen starben an der Infektion mit dem Coronavirus. Fast alle Patienten waren in Ländern des Nahen und Mittleren Ostens gewesen.
Die selbe Gruppe wie Sars
Der Erreger gehört zur selben Gruppe wie Sars (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom). Die Ausbreitung der schweren Lungenkrankheit hatte vor zehn Jahren weltweit für Schrecken gesorgt. Damals waren weltweit etwa 800 Menschen gestorben.
Beide Coronaviren sind nach Angaben der Studienautoren um Volker Thiel und Ronald Dijkman eng mit Fledermaus-Viren verwandt. Das lege nahe, dass die Erreger von Tieren auf den Menschen übergegangen sein müssen. "Wir wissen nicht, ob die Fälle, die wir beobachten, die Spitze des Eisbergs sind oder ob viel mehr Menschen infiziert sind, ohne schwere Krankheitssymptome zu zeigen", wird Thiel nun in einer Mitteilung der Fachgesellschaft AMS zitiert.
Reaktion in Gang setzen
Das Team vom Institut für Immunbiologie in St. Gallen experimentierte mit Gewebekulturen von menschlichen Zellen aus den Atemwegen. Die Atemwege sind mit sogenannten Epithelzellen ausgekleidet, in denen Zellen und Stoffe des angeborenen Immunsystems sitzen. Diese dienen dazu, Krankheitserreger zu erkennen, zu bekämpfen und eine umfassende Reaktion des Immunsystems in Gang zu setzen.
Für die Studie infizierten die Wissenschaftler Epithelzell-Kulturen von drei verschiedenen Menschen. Die Coronaviren vermehrten sich in diesen Zellen überraschend wirkungsvoll und anfangs schneller als Sars-Viren, hieß es. Sie umgingen die angeborene Immunabwehr ähnlich gut wie verschiedene Erkältungsviren. Die Viren seien damit gut an den Menschen angepasst.
Weitere Studien notwendig
Um die schwache Immunreaktion zu verbessern, behandelten die Forscher die Gewebezellen mit Interferonen, bevor sie die Zellen mit Viren infizierten. Den Angaben zufolge befielen die Viren daraufhin weniger Zellen. Interferone sind Eiweiße, die das Immunsystem stimulieren und vom Körper selbst hergestellt werden. Patienten mit Viruserkrankungen wie Hepatitis C oder eben Sars werden mit Interferonen behandelt. Die Ergebnisse seien ermutigend, dass damit eine Therapiemöglichkeit bestehe für Patienten mit dem neuen Coronavirus, hieß es. Weitere Studien seien jedoch dringend notwendig.
Erst kürzlich hatte die WHO nach einem neuen Erkrankungsfall zu Wachsamkeit aufgerufen. Der aktuelle Fall sei ein weiteres Indiz, dass eine Übertragung des Erregers von Mensch zu Mensch möglich sein könnte, erklärte die WHO in Genf. Eine solche direkte Ansteckung sei zwar bislang nicht nachgewiesen worden, jedoch sei Vorsicht geboten. In allen Staaten sollten Gesundheitseinrichtungen Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen und ungewöhnlichen Symptomen auf das neue Coronavirus testen.