Berlin. Fast jeder zweite Deutsche ist mit dem Cytomegalie-Virus infiziert - aber kaum einer weiß es. Schätzungen zufolge übertragen 30 bis 40 Prozent der Schwangeren den Virus an ihren Nachwuchs. Viele Kinder kämpfen ein Leben lang mit den Folgen, schlimmstenfalls endet die Erkrankung tödlich.

Ein weitgehend unbekannter Virus bedroht ungeborenes Leben. Die wenigsten Schwangeren wissen vom Cytomegalie-Virus (CMV), der die häufigste Ursache von Schädigungen des Kindes während der Schwangerschaft ist. Noch gibt es keine Impfung gegen den Erreger. Die Medizin ist seit Jahren auf der Suche nach Therapien, um die Krankheit in Griff zu bekommen. Bessere Aufklärung von Schwangeren kann die Infektionsgefahr deutlich reduzieren.

Carmina Leitner wurde vor zehn Jahren im Mutterleib mit CMV angesteckt. Sie kam im sechsten Schwangerschaftsmonat zur Welt. Ihre Milz und ihre Leber waren deutlich zu groß. Ihre Lungen drohten aufgrund einer Entzündung zu platzen. Trotzdem hatte Carmina Glück. "Der Virus war nicht ins Hirnwasser gelangt und hatte keine neurologischen Defekte verursacht", sagt ihre Mutter Sabine Leitner. Heute ist Carmina mit ihren 20 Kilogramm Gewicht zwar deutlich leichter als ihre Altersgenossen und in ihrer Entwicklung etwa zwei Jahre zurück, aber "ansonsten geht es ihr ganz gut", sagt Sabine Leitner.

Bedrohung für ungeborene Kinder

Bevor sie selbst davon betroffen war, hatte die 44-Jährige noch nie von CMV gehört. Vor neun Jahren gründete sie die bundesweit einzige Selbsthilfegruppe und ist Ansprechpartnerin für rund 1600 ratsuchende Familien. Fast jeder zweite Deutsche ist mit dem Cytomegalie-Virus infiziert. Das CMV gehört zur Familie der Herpesviren, hat aber mit den lästigen Lippenbläschen nichts zu tun. Es ist eine wenig bekannte, aber umso gefährlichere Bedrohung für ungeborene Kinder, sagt Mikrobiologin Christina Paulus von der Universität Regensburg, deren Team sich seit zehn Jahren intensiv mit dem Virus befasst.

Fast allen CMV-bedingten Erkrankungen ist gemeinsam, dass es in den infizierten Organen zu ausgeprägten akuten und chronischen Entzündungsreaktionen kommt. Das Krankheitsbild ist vielfältig und reicht von Hörstörungen bis hin zu Mehrfachschwerstbehinderungen, sagt Leitner. Zudem ist das Virus für teilweise lebensbedrohliche Komplikationen bei immungeschwächten Transplantationspatienten bekannt.

Die Gefahren für das ungeborene Kind sind größer, wenn sich die werdende Mutter in der Schwangerschaft erstmals infiziert. Schätzungen zufolge passiert das unbemerkt pro Jahr etwa 1500 jungen Frauen. 30 bis 40 Prozent der Schwangeren übertragen den Virus auf das eigene Kind, sagt der Regensburger Forscher Michael Nevels. 40 Kinder sterben pro Jahr, mindestens 660 kämpfen ein Leben lang mit den Folgen der Krankheit.

Infektion bleibt meist unbemerkt

Wie alle Herpesviren versteckt sich CMV nach der Erstinfektion lebenslang im menschlichen Körper und befindet sich dort meist in einer Art Ruhezustand, aus dem es fast jederzeit "reaktiviert" werden kann. Eine Infektion, die über menschliche Ausscheidungen wie Speichel oder Urin erfolgt, bemerken nur wenige Menschen, da es bei normaler Immunfunktion selten zu Erkrankungsanzeichen wie Fieber kommt.

Die häufigste Infektionsquelle für junge Frauen sind Kindertagesstätten. Jedes fünfte Kindergartenkind unter drei Jahren ist nach Angaben des Deutschen Grünen Kreuzes infiziert und scheidet die Krankheitserreger über Monate aus, ohne dass Krankheitsanzeichen sichtbar wären. Für Betroffene gibt es nach den Worten von Sabine Leitner umfassende medizinische Hilfe, "sie müssen es nur wissen". Frauenärzte sollten Schwangere unbedingt über die Gefahren aufklären. Eine französische Studie besage, dass man die Hälfte der Fälle vermeiden könne, wenn Schwangere über Infektionsquellen informiert seien, sagt Leitner.

Forschung wurde langezeit vernachlässigt

Der CMV-Test kostet rund 25 Euro und wird von den Kassen nicht bezahlt. Trägt eine Schwangere das Virus nicht in sich, sollte alle vier bis sechs Wochen erneut getestet werden. Bei Infektionen gibt es bislang nur die Möglichkeit, mit der Gabe von Immunglobulinen einen gewissen Schutz vor Schädigungen zu schaffen. "Anders als noch vor Jahren werden betroffene Familien heute medizinisch sehr gut betreut", sagt Leitner. Bisher ist es nicht gelungen, einen wirksamen Impfschutz zu entwickeln. "Aufgrund der enormen Komplexität des Virus und seiner Wechselwirkungen mit unserem Körper sind die Mechanismen der Krankheitsentwicklung noch weitgehend unbekannt", betont Forscherin Paulus.

Lange Zeit wurde die Forschung vernachlässigt, doch in den vergangenen Jahren habe es ein Umdenken gegeben. "In den nächsten Jahren wird es in der Forschung einen Durchbruch geben", ist sie sich sicher. (dapd)