Washington. Die Sterberate des Menschen ist in den letzten 100 Jahren immens gesunken - um fast das 200-Fache. Das hat ein internationales Forscherteam herausgefunden. Die Wissenschaftler verglichen Industrieländer mit Jäger-und-Sammler-Völkern - und mit in Gefangenschaft lebenden Schimpansen.

Die Sterberate des Menschen ist in den letzten hundert Jahren so rapide gesunken wie bei keinem anderen Lebewesen auf unserem Planeten. Seit 1900 - und damit innerhalb von nur vier Generationen - fiel sie um fast das 200-Fache, wie ein internationales Forscherteam unter Leitung von James Vaupel vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock festgestellt hat.

Eine so schnelle Veränderung sei biologisch einmalig. Das Sterberisiko der Menschen in den Industrieländern unterscheide sich heute stärker von ursprünglichen Jäger-und-Sammler-Völkern als deren Mortalität von jener der Schimpansen. "Das ist deshalb erstaunlich, weil die Jäger und Sammler ohnehin schon eine für Säugetiere ungewöhnlich niedrige Sterberate besitzen", schreiben die Forscher im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi:10.1073/pnas.1215627109).

Erklärbar sei diese rapide Verbesserung durch die enormen kulturellen Fortschritte des Menschen: "Wir haben einen Großteil der umweltbedingten Gefahren aus dem Weg geräumt, indem wir Verletzungen und Krankheiten mit Hilfe der Medizin heilen und ältere Menschen gesünder ernähren und besser versorgen können", sagen die Wissenschaftler.

Kein anderes Lebewesen habe seine Umwelt so sehr verändert und kontrolliert wie der Mensch. Es gebe aber keinen Grund anzunehmen, dass nicht auch andere Tierarten ihre Überlebenschancen bei entsprechender Entwicklung ähnlich stark verändern könnten. Denn biologisch gesehen sei unsere Art nicht wandelbarer als viele andere auch.

Jäger und Sammler als biologischer Urtyp des Menschen

Für ihre Studie hatten die Forscher die Sterberaten von Menschen in den Industrieländern Frankreich, Schweden und Japan mit denen von noch heute lebenden Jäger-und-Sammler-Völkern verglichen. Zusätzlich nahmen sie auch die Mortalität von in Gefangenschaft gehaltenen Schimpansen mit auf.

Als Sterberate oder Mortalität bezeichnen Wissenschaftler die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Mensch eines bestimmten Alters stirbt. Sie liegt beispielsweise heute für einen 65-jährigen Japaner bei 0,8 Prozent. Ermittelt wird sie über die Anzahl der Toten in der jeweiligen Altersklasse. "Wir wollten wissen, wie sich die heutige Mortalität von der für den Menschen biologisch typischen unterscheidet", erklären Vaupel und seine Kollegen.

Da der Mensch einen Großteil seiner Evolution als Jäger und Sammler gelebt habe, seien noch heute existierende Völker mit dieser ursprünglichen Lebensweise ein guter Vergleichswert.

Schere öffnete sich vor rund hundert Jahren

Die Ergebnisse zeigen, dass die Sterberaten von Jägern und Sammlern und den Bewohnern der Industrieländer noch vor hundert Jahren nahezu gleich waren. Dann allerdings habe es einen rapiden evolutionären Sprung gegeben, berichten die Forscher. Heute müsse beispielsweise ein Japaner 72 Jahre alt werden, um das gleiche Sterberisiko zu haben wie ein 30-jähriger Jäger und Sammler.

Das Tempo dieser Veränderung sei enorm: Von den rund 8.000 Generationen, die der Homo sapiens insgesamt erlebt habe, hätten daran nur die letzten vier Anteil gehabt. "Das erstaunlichste Ergebnis ist aber, dass die Mortalität der Jäger und Sammler näher an der der Schimpansen liegt als an der von Menschen in den Industrieländern", schreiben Vaupel und seine Kollegen.

Auf dem rund 6,6 Millionen Jahre langen Weg zum Menschen sei die Sterberate nur um das Zehnfache gesunken. In den gut hundert Jahren seit der Industrialisierung dagegen um das weit mehr als Hundertfache. Nach Ansicht der Forscher zeigt dies, dass der Einfluss von Lebensweise und modernen Errungenschaften weit über die Wirkungen von biologischen Mechanismen wie der Änderung von Genen hinausgeht. (dapd)