Witten. . Der Ruf nach der Todespille sei Ausdruck von Panik, sagt Dr. Matthias Thöns, aus Angst vor unerträglichen Schmerzen. Der Wittener Palliativmediziner begleitet todkranke Menschen und ihre Angehörigen. Er weiß: Wenn die Kranken erfahren, dass es anders geht, wollen sie weiterleben.
Als sie den Knoten in der Brust gefühlt hat, war es Sonntagabend. Es lief gerade „Tatort“. Den Schock wird sie nie vergessen – und die Gefühle auch nicht. „Ich wollte am liebsten sofort sterben“. Für Matthias Thöns, Palliativarzt aus Witten, sind Worte wie die einer 55-jährigen Patientin typisch. „Am Anfang reden viele davon, nicht mehr leben zu wollen.“ Aus Angst vor unterträglichen Schmerzen. Eine klassische Panik-Reaktion.
Promis wie das Industriellen-Ehepaar von Brauchitsch, wie Playboy Gunter Sachs oder jüngst Ex-Fußballer Timo Konietzka nach der Diagnose Gallen-Krebs haben sich Möglichkeiten gesucht, auf schnellstem Wege aus dem Leben zu scheiden. Sie wollten das nicht: nicht die Schmerzen, nicht das Siechtum, nicht die Abhängigkeit von Ärzten.
Lebensqualität durch Schmerztherapie
„Die Angst vor dem Sterben ist größer als die Angst vor dem eigentlichen Tod“, sagt Matthias Thöns. „Aber wenn die Menschen hören, dass wir ihnen die Schmerzen nehmen können, dass sie nicht ersticken müssen, ändern sie ihre Meinung.“ Und es sei nicht übertrieben, dass mit einer gezielten Schmerztherapie sogar die Lebensqualität erhalten bleiben kann, sagt Thöns. „Wird das Morphin richtig eingestellt, können die Betroffenen sogar noch Auto fahren.“
Es gebe Morphium längst nicht nur als Spritze. Morphin-Pflaster, Morphin-Nasenspray – ein Arzt kann reden. Doch gibt es das wirklich, den sanften Tod bei einer Krankheit wie Krebs, die furchtbare Schmerzen auslösen kann? „Ich erinnere mich an eine junge Frau mit Knochenkrebs. Es war furchtbar. Sie hatte sämtliche Therapien hinter sich und litt entsetzlich.“ Die klassische Schmerztherapie mit Morphium brachte nichts mehr. „Ich habe sie in Narkose gelegt.“ In den letzten beiden Tagen ihres Lebens schlief sie im Arm ihres Mannes. „Wenn ich gewusst hätte, dass Sterben so schön ist, hätte ich all die Jahre weniger Angst gehabt“, zitiert Thöns den Ehemann.
Manchmal kann der Arzt den Todeswunsch verstehen
Doch der Arzt will realistisch bleiben. Auch wenn er immer wieder darauf abhebt, „dass man 99 von hundert Schwerkranken helfen kann“, kennt er die Grenz-Situationen. „Ein zerstörerischisch wütender Gesichtskrebs oder Halstumore, die das gesamte Gewebe zerfressen – bei so einem Schicksal kann ich es verstehen, dass man möglicherweise nicht mehr leben will.“ Denn es zähle ja nicht nur, dass man keine Schmerzen erdulden muss.
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Es gehe um Würde. Und um das, was noch erträglich ist. Und wenn es unerträglich wird, dann sage der Patient zum Beispiel: „Die Flasche Morphium, die Sie mir verordnet haben, die trinke ich jetzt in einem Schluck.“ In solchen, wenigen, Fällen kommt Thöns in keinen Gewissenskonflikt. Im Gegenteil. Diese Möglichkeit will er unbedingt erhalten. „Der Arzt, der den Suizid in diesen extremen Situationen nicht aufhält, sollte auch in Zukunft straffrei bleiben“, sagt Thöns. Eine Haltung, die von der Bundesärztekammer wie auch von der katholische Kirche nicht geteilt wird.
„Warum atmet der Opi so komisch?“
Der Ruf nach der Todespille würde vor allem von sehr alten Menschen laut. „Dabei verfügt gerade der alte Körper über einen besonderen Automatismus. Wenn das Ende naht, atmet der Mensch weniger. Das Gehirn wird also mit weniger Sauerstoff versorgt und das führt zur Ausschüttung von Glückshormon.“ Der Arzt müsse also gar nicht viel Schmerzmittel geben. Dafür oft mehr soziale Hilfen. Eine Krankenschwester sei da, die auch die Angehörigen stützt, die Fragen beantwortet wie „Warum atmet der Opi so komisch?“
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Das Gespräch mit dem Kranken, die Aufklärung – das sei das Herzstück der Palliativmedizin, nicht nur das Morphium. „In unserer Region ist es glücklicherweise so, dass Palliativmedizin flächendeckend angeboten werden kann. Es ist alles Kassenleistung. Es ist alles gut geregelt.“