München/Göttingen. An der Universitätsklinik Göttingen sind offenbar ausgewählten Patienten bevorzugt Spenderlebern verschafft worden. Nach einem Medienbericht werden 25 Fälle untersucht, in denen Krankenakten gefälscht worden sind, um die Patienten schwerer erkrankt erscheinen zu lassen, als sie waren.
Am Universitätsklinikum Göttingen sind einem Bericht zufolge offenbar in großem Stil Organe verschoben worden. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ am Freitag berichtete, wurden in dem Klinikum Krankenakten gefälscht, um ausgewählten Patienten bevorzugt eine Spenderleber zu verschaffen. Der Fall eines russischen Patienten, dem ein Oberarzt eine Spenderleber besorgt haben soll, obwohl er in Deutschland keinen Anspruch darauf hatte, war bereits im Juni bekannt geworden. Nach „SZ“-Informationen geht es nun allerdings um insgesamt mindestens 25 Fälle.
Ein Sprecher der Universitätsmedizin bestätigte am Freitag, dass es neue Verdachtsfälle und neue vorwürfe gegen den ehemaligen Transplantationschirrugen der Klinik gebe. Die Universitätsmedizin habe eine externe Gutachterkommission einberufen.
Laut dem Zeitungsbericht haben die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergeben, dass jeweils Dialyseprotokolle gefälscht oder frei erfunden und Laborwerte manipuliert wurden. Auf diese Weise seien die Patienten auf dem Papier schwerer erkrankt erschienen, als sie in Wirklichkeit waren. Sie bekamen deshalb schneller eine Spenderleber von der internationalen Vermittlungsstelle Eurotransplant zugeteilt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt demnach bisher gegen einen Oberarzt.
„Schlimmster Vorfall in der deutschen Transplantationsmedizin“
Der Transplantationsskandal war laut „SZ“ Thema einer Sitzung der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) am vergangenen Montag in Berlin. Der Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer (BÄK), der Strafrechtler Hans Lilie, habe vor den Teilnehmern vom schlimmsten Vorfall gesprochen, von dem er in der deutschen Transplantationsmedizin je gehört habe.
Ob durch die bevorzugte Versorgung der Göttinger Patienten andere Patienten auf der Warteliste für eine Lebertransplantation zu Schaden gekommen oder gar gestorben sind, sei Gegenstand weiterer Ermittlungen, sagte Lilie der Zeitung. Früher habe er Spendewilligen oder Angehörigen voller Überzeugung versichern können, dass in Deutschland in Sachen Organspende alles mit rechten Dingen zugehe, sagte Lilie. Das könne er nicht mehr ohne Weiteres tun.
Unangekündigte Kontrollen für Transplantationszentren?
Die Deutsche Transplantationsgesellschaft hat mit Bestürzung auf die Fälschungsvorwürfe am Göttinger Universitätsklinikum reagiert. Mit großer Sorge und Betroffenheit verfolgten der Vorstand und alle Mitglieder der Deutschen Transplantationsgesellschaft die Aufklärung der Vorgänge um die umstrittenen Lebertransplantationen, teilte die Organisation am Freitag in Regensburg mit. Der Vorstand der Gesellschaft habe beschlossen, dass sich die deutschen Lebertransplantationszentren künftig freiwillig unangekündigten Kontrollen unterziehen wollten.
Erst vor kurzem hatten Bundestag und Bundesrat neue Regelungen zur Organspende auf den Weg gebracht, die das Ziel haben, die Zahl der Spenderorgane zu erhöhen. Die Bürger werden künftig regelmäßig nach ihrer Bereitschaft zu Organspenden gefragt. Die gesetzliche Regelung ist noch nicht in Kraft getreten. (afp/dapd)