London. Mit einer chemischen Manipulation können Wissenschaftler das Rückenmark durchsichtig erscheinen lassen und einzelne Nervenfasern sichtbar machen. Auf diese Weise soll die grundlegende Erforschung des Nervenwachstums erleichtert werden - und perspektivisch die Therapie von Lähmungen möglich sein.

Mit einer neuen Methode können Forscher erstmals einzelne Nervenfasern des Rückenmarks im Ganzen sichtbar machen. Eine chemische Manipulation macht dabei das Gewebe zunächst durchsichtig. Werden dann einzelne Nervenzellen, beispielsweise von Mäusen, mit einem leuchtenden Farbstoff markiert, lassen sie sich per Mikroskop genau untersuchen. "Das Rückenmark auf diese Weise beobachten zu können, erleichtert die Erforschung des Nervenwachstums und hilft herauszufinden, wie gut und schnell sich Nervenfasern nach einer Verletzung wieder regenerieren", berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin "Nature Medicine".

Werden bei Verletzungen des Rückenmarks die langen Zellfortsätze der Nervenzellen durchtrennt, sind meist irreversible Lähmungen die Folge. Denn nur selten wachsen die durchtrennten Nervenfasern wieder zusammen. Warum, ist bisher unklar. Forscher versuchen daher, dies aufzuklären, um die Nerven zum Wachsen anregen zu können und so eines Tages Rückenmarksverletzungen zu heilen.

Aufwändige Schnitte und Ultramikroskopie unnötig?

Bisher jedoch muss für solche Forschungen das Rückenmark beispielsweise von Mäusen in hauchdünne Scheiben geschnitten und anschließend unter dem Mikroskop in mühevollen Einzelschritten analysiert werden. Alternativ setzt ein Computerprogramm aus den Schnitten dreidimensionale Bilder zusammen. Diese Verfahren sind sehr aufwändig, es kann Tage bis Wochen dauern, bis die Ergebnisse einer Untersuchung vorliegen. Außerdem lassen sich damit nicht immer neu gewachsene Nervenfasern von jenen unterscheiden, die bei der Verletzung verschont wurden.

Abhilfe könnte jetzt das neue Verfahren schaffen. Wie Ali Ertürk vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried und seine Kollegen berichten, lässt sich damit das Rückenmarksgewebe ohne langwierige Schnitte direkt und hochaufgelöst per Ultramikroskopie beobachten. Die grundlegende Erforschung des Nervenwachstums werde dadurch erleichtert. Die Methode funktioniere aber auch bei anderen Geweben, sagen die Forscher. So könne man damit zum Beispiel das System der Blutkapillaren oder auch die Einbettung eines Tumors im Gewebe fehlerfrei und dreidimensional darstellen und analysieren.

Lichtbrechung ausgetrickst

Rückenmarksgewebe ist normalerweise undurchsichtig, weil das darin enthaltene Wasser Licht anders bricht als die ebenfalls enthaltenen Proteine. Für ihr neues Verfahren präparieren die Forscher zunächst das gesamte Rückenmark samt der umliegenden Nerven der zuvor getöteten Maus. Diesem Gewebe entziehen sie mit Hilfe eines chemischen Prozesses das Wasser und ersetzen dieses mit einer Emulsion, die das Licht genauso bricht wie die Proteine.

Das Resultat dieser Manipulation ist ein vollständig durchsichtiges Gewebe. "Das ist ähnlich, wie wenn man Honig auf eine Strukturglasscheibe schmiert", erklärt Ertürk. Die undurchsichtige Scheibe werde glasklar, sobald der Honig die Strukturunebenheiten ausgleiche.

Faser-Wachstum millimetergenau analysieren

In der nunmehr durchsichtigen Rückenmarkssektion markierten die Forscher anschließend einzelne Nervenzellen mit Fluoreszenzfarbstoffen. Dadurch könne man erstmals den gesamten Verlauf einer einzelnen Faser von Anfang bis Ende direkt verfolgen und ihr Wachstum millimetergenau analysieren, sagen die Forscher.

Auf diese Weise habe man bereits festgestellt, dass sich ein Jahr nach einer Verletzung bestimmte Nervenfasern im Rückenmark von Mäusen regenerieren können. "Auch die quantitativen Veränderungen der Hüllzellen um die Nerven konnten wir genau messen", schreiben Ertürk und seine Kollegen. (dapd)