Berlin. Die Pflegereform soll die Lage für Demenzkranke verbessern. Doch ohne mehr Personal kann man weitere Leistungen gar nicht an den Menschen bringen, warnt Andreas Westerfellhaus. Im Interview erklärt der Präsident des Deutschen Pflegerats, warum die zusätzlichen 1,1 Milliarden Euro ab 2013 für eine bessere Pflege längst nicht ausreichen.

Herr Westerfellhaus, die Eckpunkte zur Pflegereform sind verabschiedet. Welche Note würden Sie ihnen geben?

Westerfellhaus: Eine vier. Einige Absichten finde ich gut, etwa die Förderung von ambulanten Wohngruppen, den Abbau von Bürokratie im Pflegealltag oder die angestrebte einheitliche Berufsausbildung in der Pflege.

Aber?

Westerfellhaus: Die angekündigte Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive brauchen wir nicht nur in der Altenpflege, sondern in allen Pflegeberufen. Das Motto der Koalition „ambulant vor stationär“ ist richtig. Aber dann muss sie die ambulante Seite auch mit mehr Personal stärken. Und es muss endlich geklärt werden, wie der neue Pflegebedürftigkeits-begriff aussieht. Wir müssen wissen, wer welche Leistung bekommt. Davon hängt ab, was die Reform kostet.

Ihr Fazit?

Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates.
Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates.

Westerfellhaus: Die Reform allein macht den Pflegeberuf nicht attraktiver. Für das Pflegepersonal erkenne ich bis auf die Ausbildungsinitiative keine Verbesserung. Wenn man die Pflegeleistungen flexibilisiert, heißt das nicht automatisch, dass die Arbeit leichter wird. So werden wir den gigantischen Fachkräftemangel, der sich täglich verschlimmert, nicht beheben können. Doch ohne mehr Personal können wir die geplanten zusätzlichen Leistungen gar nicht an den Menschen bringen – selbst wenn sie finanzierbar wären.

Die Beitragserhöhung ab 2013 bringt 1,1 Milliarde Euro extra, vor allem zur Betreuung von Demenzkranken. Was kann man damit erreichen?

Westerfellhaus: Punktuelle Hilfe, denn das Geld reicht hinten und vorne nicht. Nur ein Bruchteil wird den Demenzkranken direkt zugutekommen. Noch einmal: Wenn sie besser versorgt werden sollen, braucht man mehr Personal, was Geld kostet. Schon heute fehlen 150000 Pflegekräfte 2020 könnten es 300000 sein. Das Personal ist bis an die Grenze belastet und kann nicht mehr.

Wie viel Geld zusätzlich bräuchte man allein für Demenzkranke?

Westerfellhaus: Drei bis fünf Milliarden Euro. Die Betreuung von Demenzkranken ist sehr zeitintensiv. Es gibt Menschen, die muss man rund um die Uhr versorgen.

Nun sollen vor allem Demenz-kranke in Pflegestufe null oder eins mehr erhalten. Hilft das?

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Westerfellhaus: Nicht wirklich. Es mag den Betroffenen in Teilen helfen, behebt aber nicht den Personalmangel. Das Fatale ist, dass das niemand zu interessieren scheint.

Was müsste denn passieren, damit der Beruf attraktiver wird?

Westerfellhaus: Wir brauchen eine dauerhaft gesicherte Finanzierung der Pflege – unabhängig von der Kassenlage. Der Beruf verdient eine höhere gesellschaftliche Anerkennung. Nötig sind höhere Löhne. Andernfalls wird man den Mangel in der Pflege nicht beheben können.

Welcher Lohn ist angemessen?

Westerfellhaus: Es darf nicht mehr sein, dass die Lohnentwicklung von Pflegenden von derjenigen der Ärzte abgekoppelt wird. Die Lohnsteigerungen müssen in diesem Jahr mindestens bei vier Prozent liegen. Es kann nicht sein, dass ein Pfleger mit 1800 Euro brutto nach Hause geht.

Was müssen die Arbeitgeber leisten?

Westerfellhaus: Ältere Mitarbeiter sind unverzichtbar. Doch ohne andere Arbeitsbedingungen hält man kaum bis zur Rente durch. Wer 60 Jahre alt ist, kann nicht mehr im Drei-Schicht-System arbeiten oder schwere körperliche Tätigkeiten verrichten. Hier sind die Arbeitgeber gefordert.

Was halten Sie von der freiwillligen privaten Zusatzvorsorge?

Westerfellhaus: Mit der Freiwilligkeit allein wird man gar nichts erreichen. Bei der Riesterrente spart man Geld an und bekommt es später. Doch was passiert beim Pflege-Bahr, wenn man Jahrzehnte einzahlt und später doch keine Hilfen braucht. Dann erreicht man ausschließlich einen Nutzen für die Versicherungswirtschaft.

Was passiert mit den Menschen, die sich den Pflegezusatz nicht leisten können?

Westerfellhaus: Mal sehen, wie die Koalition ihnen helfen will. Eines aber ist klar: Wenn am Ende nur die Bürger die Zusatzversicherung haben, die es sich leisten können, dann unterstützt dies eine Zwei-Klassen-Pflege. Das ist der falsche Weg. Die Finanzierung der Pflege muss eine solidarische Aufgabe der ganzen Gesellschaft bleiben. Jeder sollte die Hilfe bekommen, die er benötigt – und zwar unabhängig vom Geldbeutel.