Gladbeck. Tilman Jens las im Lesecafe er Stadtbücherei über die Demenzerkrankung seines berühmten Vaters.

Zugegeben, ein Buch über den eigenen Vater zu schreiben, während er noch lebt, ist ungewöhnlich. Und erst recht, wenn die Nachricht dahinter steckt, dass es den eigentlichen Vater längst nicht mehr gäbe. Schließlich sei dieser an Demenz erkrankt. Zur Lesung ins Lesecafé der Stadtbücherei war am Montagabend Tilman Jens zu Gast, der mit seinem Werk „Demenz – Abschied von meinem Vater“ bereits für viel Aufsehen sorgte.

Tilman ist der älteste Sohn des bekannten Tübinger Professors Walter Jens. Und auch wenn es eine groteske Floskel ist: Schwere Krankheiten machen auch vor bekannten und prominenten Menschen keinen Halt. Genau das beschreibt Tilman Jens in seinem Buch.

Sein Werk „Demenz – Abschied von meinem Vater“ ist eine Art Chronik des Abschied nehmens. In all seinen Facetten wird der Krankheitsverlauf beschrieben. In ihrer ganzen Irrationalität, in ihrer ganzen Grausamkeit wird die Demenz geschildert: Wenn der Vater Windeln tragen muss, es zu häuslicher Gewalt kommt oder der Wunsch des Vaters, endlich sterben zu dürfen, ertönt. Was macht man da als Sohn, vielmehr als Familie? Vor allem wenn das der Wunsch ist, für den sich der Vater Jahre zuvor eingesetzt hatte? Als er öffentlich vom „Recht auf einen gnädigen Tod“ sprach. Keine einfache Situation, wenn der eigene Vater einst sagte: „Ich will sterben, nicht gestorben werden.“

Walter Jens war ein begnadeter Rhetoriker. Eines der prägendsten Erlebnisse für Sohn Tilman war wohl folgender Satz: „Mir ist die Sprache gestorben“, sagte Vater Walter. Ob der Vater, heute 88 Jahre alt, seinen Sohn oder gar seine Frau noch erkennt, will jemand aus dem Publikum wissen. „Jein“, antwortet Tilman Jens. Man sei vertraut, vertraut wie ein altes Möbelstück.

Der Wunsch des Professors war es immer, daheim zu sterben. Und zwar dann, wenn er es wollte. Doch mit zunehmender Dauer der Krankheit verblasste dieser Wunsch. „Es ist mehr ein Totsein, ohne zu sterben.“ Und so merkt nicht nur Vater Walter, sondern auch Sohn Tilman, dass die Krankheit zwar die Kommunikation, das Leben und die Familie veränderte, nicht aber die Freude aneinander. Auch mit Demenzkranken könne man schöne und lustige Momente erleben. Aus Liebe sei Barmherzigkeit geworden. „Hören wir auf zu heucheln“, fordert Tilman Jens seine Zuhörer auf. „Diese Krankheit ist furchtbar, aber nicht nur furchtbar.“

Für seine persönliche Auseinandersetzung erntet der Autor am Montagabend nach langer Stille lauten Applaus. Im anschließenden Gespräch wird deutlich, was er eigentlich vermitteln will: Auch das Recht, nicht mehr zu funktionieren, muss in der Gesellschaft akzeptiert werden.