Hamburg. Es begann alles mit einem Grummelm im Magen: Die Hamburgerin Nathalie Lorang erkrankte im Frühling an dem aggressiven Darmkeim Ehec. Mittlerweile ist sie seit drei Monaten aus dem Krankenhaus entlassen - doch die Krankheit wirkt immer noch nach.

Ins Restaurant geht Nathalie Lorang nur noch selten. Sie will die Zutaten für ihr Essen jetzt selber kaufen, auf der Verpackung lesen, was drin ist, und das Herkunftsland kennen. Sie will wissen, was in ihren Körper gelangt, in ihr Blut und in ihre Organe. Am 28. September ist es drei Monate her, dass die junge Frau in Hamburg das Krankenhaus nach ihrer Ehec-Erkrankung verlassen konnte. Allmählich verschwinden die äußerlich sichtbaren Zeichen des aggressiven Darmkeims - die bleiche Haut, die Narben von den Kathetern, die schlaffen Muskeln, die Müdigkeit.

Aber es gibt auch Spuren, die die Zeit nicht so leicht wegwischen kann. Diese Spuren wirken beim Essen nach oder in Form der Desinfektionstücher, die Lorang nun stets bei sich trägt. Die Angst vor Bakterien und Viren und den Schmerzen, die sie verursachen können, ist geblieben: "Wenn ich unterwegs bin, habe ich oft das Bedürfnis, meine Hände zu reinigen."

Alles habe mit einem "Grummeln im Magen" begonnen, erzählt Lorang. Es war ein Sonntag Ende Mai, sie hatte das Wochenende bei ihren Eltern in Oberfranken verbracht. Am Abend fährt die Studentin zurück nach Hamburg. Von Ehec liest sie in der U-Bahn zum ersten Mal. "Ich habe mir nichts dabei gedacht, bin am Montag zur Uni. Da hat der Durchfall angefangen."

"Wie ein Michelinmännchen"

Fünf Tage später liegt die 27-Jährige auf der Intensivstation. Zwei Schläuche erhalten sie am Leben. Der eine führt zum Dialyse-Gerät und versorgt sie mit gereinigtem Blut, das ihre beschädigten Nieren nicht mehr liefern können; der andere bringt flüssige Nahrung in ihren Körper. Lorang sieht die Welt nur noch wie durch einen Schleier, verursacht von Schmerzmitteln und unendlicher Erschöpfung. Alle zehn Minuten zwingt sie blutiger Durchfall auf die Toilette. Dazwischen dämmert sie vor sich hin.

"Am Anfang war ich schon fast komatös", sagt sie. Sie habe in abgehackten Sätzen gesprochen, sei manchmal sogar während eines Gesprächs eingeschlafen. Obwohl sie selbst kaum etwas isst, hat sie elf Kilogramm zugelegt, "wie das Michelinmännchen" habe sie ausgesehen, aufgedunsen, weil sie wegen der kaputten Nieren keine Flüssigkeit mehr ausscheiden konnte. Als ihre Mutter nach dem ersten Besuch aus dem Zimmer tritt, will sie die ganze Verwandtschaft zusammentrommeln. Alle sollen kommen, um sich von Nathalie zu verabschieden.

Nach zehn Tagen kommt der Oberarzt zu Lorang, er bringt ihr eine Broschüre über ein neues Medikament. "Er hat zu mir gesagt: Dieses Medikament ist die letzte Hoffnung für ihre Nieren." Er sagt ihr auch, dass das Medikament noch nicht zugelassen sei, aber bei einigen anderen Patienten schon gewirkt habe. Lorang muss sich entscheiden, ob sie ihr Leben lang auf ein Dialysegerät zur Blutwäsche angewiesen sein will oder ob sie sich auf ein Medikament verlässt, dessen Wirkung noch nicht vollständig geklärt ist. Sie entscheidet sich für das Medikament. "Ich hatte ja keine Wahl", sagt sie. Mit dem Medikament geht es rasch aufwärts mit Lorang, der Appetit kehrt zurück, die Nieren fangen wieder an zu arbeiten, sie kann duschen - zum ersten Mal seit zwei Wochen.

Bald wagt sie ein paar Schritte, vom Bett zur Tür und zurück, "wie auf Eiern", weil ihre Muskeln sie kaum noch tragen. Am 28. Juni wird Lorang schließlich aus dem Krankenhaus entlassen, aschfahl zwar und schon nach ein paar Schritten erschöpft, aber mit der Aussicht auf ein Leben mit funktionierenden Nieren.

Nun stehen Prüfungen an

Heute hat Lorang wieder Farbe im Gesicht, wirkt zufrieden und voller Tatendrang. Sie lernt gerade viel, es gibt Prüfungen nachzuholen, die sie während der Zeit im Krankenhaus verpasst hat. Bald geht das vierte Semester los. Nebenbei will sie wieder arbeiten. "Die Ärztin hat schon geschimpft, ich solle mich nicht überfordern", sagt sie. Einmal im Monat muss Lorang derzeit noch ins Krankenhaus - zur Kontrolle der Nierenwerte.

Die junge Frau lacht immer wieder, wenn sie von der Zeit im Krankenhaus erzählt, ironisiert, wenn sie sagt, der blutige Durchfall sei "keine schöne Angelegenheit gewesen". Hat sie das Erlebte verarbeitet, oder dient die Ironie als Abwehrmittel gegen die Erinnerungen? "Das ist natürlich ein Einschnitt, wenn man immer kerngesund war und dann plötzlich so schwer krank wird. Aber ich bin vollkommen darüber hinweg." Die Krankheit habe sie lockerer gemacht, die Relationen zurechtgerückt. "Ich sehe vieles nicht mehr so engstirnig." Statt sich über manches aufzuregen, sage sie sich lieber: "Lebe den Tag, denn es könnte dein letzter sein." (dapd)